9. Mai 2013

Deutsche in Wien

Was mag ein Deutscher an Wien?

Ganz gleich, ob der Deutsche beim ersten Besuch in Wien auf einen Oberösterreicher oder einen Burgenländer trifft, er freut sich über dessen Dialekt und glaubt sogleich, das müsse Teil des Wiener Schmähs sein. Der Deutsche, der Stammgast in Wien oder dort zu Hause ist, merkt hingegen sofort, ob er es mit einem echten Wiener zu tun hat – schließlich liegen zwischen den einzelnen Dialekten Österreichs ganze Welten. Aber auch für ihn ist der Schmäh nicht so recht greifbar. Er weiß nur, er hat ihn gern. Und wenn ihn der Kaffeehausober wegen seiner Bestellung angrantelt, freut er sich, weil dann gehört er dazu. Speziell der Deutsche vom Niederrhein wird nämlich in heimatlichen Gasthäusern nicht selten vom Servicepersonal flapsig geduzt oder angeknurrt und entwickelt dadurch im Kaffeehaus beinahe Heimatgefühle.

Deutsche mit Wohnort Wien führen ihre Besucher stolz durch die Stadt und beobachten gerne, wie die Freunde aus der Heimat prachtvolle Deckenbemalungen an Orten bewundern, die in Deutschland Museen wären und in Wien schlicht Wohnhäuser sind. Es gibt schwedische Mode (H&M)in einem denkmalgeschützten Gebäude von 1887 (Braun & Co. am Graben), Partys in wunderschönen Stadtpalais, von denen man glauben könnte, man dürfe sie nur mit Filzpantoffeln und im Flüsterton betreten, sowie Hotelzimmer, in denen man den Eindruck hat, gleich komme die Hofdame, um ins Korsett zu helfen, weil man zum Tee mit Sisi gerufen wurde. In Wien gibt es an jeder Ecke etwas zu entdecken, es ist voller Gegensätze und wird niemals langweilig. Man kann an der Donau der Freikörperkultur frönen, im Café Hawelka ins vorherige Jahrtausend zurückreisen und sich anschließend im Abendkleid unter das fein gemachte Publikum der Wiener Staatsoper mischen. Die Deutschen schätzen an Wien, dass sie je nach Stimmung Gemütlichkeit, Moderne, Trubel oder Kultur finden. Alles läuft ein bisschen gelassener, weniger verbissen als beim nördlichen Nachbarn.

Gleichzeitig sind die Wiener viel mehr auf Zack als ihnen laut ihres Rufes zugetraut wird. Sie können meisterhaft Schnee räumen, auch wenn er mehr als drei Zentimeter hoch liegt. Sie haben ein öffentliches Verkehrsnetz geschaffen, das meistens mehr als einen Weg zum Ziel bietet. Und sie haben den Flughafen unweit der Stadtgrenze gebaut. Alles Dinge, die den gerne pünktlichen Deutschen regelmäßig jubeln lassen. Manchmal sind es eben auch die praktischen Dinge, die er an Wien so mag.

Der Romantiker unter den Deutschen spaziert am liebsten durch die Weinhänge in Döbling und lässt sich beim Heurigen von ungarischer Ziehharmonikamusik den Wein versüßen. Er freut sich, dass er auf dem Leopoldsberg in Ruhe in verschiedene Himmelsrichtungen schauen kann, weil die Touristen alle auf dem Kahlenberg sind. Er liebt das Krapfenwaldbad an den Tagen, die sich unvorhergesagt zu Badetagen entwickeln und an denen es dort beschaulich wie sonst nie zugeht. Und ganz besonders geht ihm das Herz auf, wenn sich im Frühling unzählige Blumenbeete in Tulpenmeere verwandeln.

Für den Deutschen ist Wien eine Weltstadt mit Dorfcharakter, die ihren Bewohnern alle Möglichkeiten bietet und die deshalb von ihnen geschätzt wird. Die Wiener lieben ihr Wien und leben aus Überzeugung dort. Das färbt auch auf die Zuagroastn ab. Kein Wunder also, dass mit 34.000 Deutschen (laut Statistik Austria) so viele wie noch nie in Wien leben. Tendenz steigend.

Von Chris Julia Räckers (verlobt mit einem Steirer in Wien), mit Britta (verlobt mit einem Wiener) und Nora (lebt in Deutschland, noch) Bolz


„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.  

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