3. Juli 2011

Berlin – Was es braucht, um so richtig cool zu sein.

Oder: Wie viel Kreativität verträgt eine Stadt?

Musikproduzenten, Modedesigner, Drehbuchautoren, Grafikkünstler – nur ein kleiner Auszug derjenigen Berufe oder zumindest Passionen, die man scheinbar ausüben muss, um eine Aufenthaltsgenehmigung für Berlin zu bekommen. Die Stadt scheint überzuquellen vor Personen, die in der Kreativbranche tätig sind und es wird beinahe überflüssig, neuen Bekanntschaften eine der klassischen Smalltalk-Einstiegsfragen („Und, was machst du so?“) zu stellen. Die Antwort ist klar.

Alles Techno.

Was es den Berlinern offensichtlich vor allem angetan hat, ist Techno, wobei die Sache alleine mit dem rein akustischen Genuss noch nicht getan ist. Vor allem aufzulegen, im Idealfall auch noch von einem selbst produzierte Musik auf einer von einem selbst organisierten Veranstaltung oder, sollten die Qualifikationen dafür dann doch nicht ausreichend sein, zumindest in einer Bar mit DJ oder in einem Club zu arbeiten, gelten als verpflichtende Kriterien für eine interessante Persönlichkeit.

Als bloßer Hotelangestellter oder Büromitarbeiter weiß man seine Tätigkeit entweder zu verschleiern, oder sie mit dem Argument zu entschuldigen, man übe sie lediglich als Mittel zum Zweck aus, nämlich, um vor allem seine Musikkarriere weiter voran zu treiben. Die Begriffe Ableton und Cubase zu kennen, stellt sich fast als Pflicht heraus, um bei einem beiläufigen Gespräch mithalten zu können, mit mindestens einem eigenen Musikstück auf Soundcloud (MySpace ist tot, nur zur Information) vertreten zu sein, ebenso. Ob man damit Erfolg hat oder nicht, scheint gar nicht im Kern des allgemeinen Interesses zu liegen, wer sich die Mühe gibt, sich damit zu befassen, steigt auf der Skala des Wohlwollens der Zuhörenden schon enorm.

Addiere einen Spleen.

Fügt man dieser Leidenschaft für die elektronische Tanzmusik dann auch noch irgendeine Form von Spleen oder Tick hinzu, dann hat man gewonnen. Ein Hauch Wahnsinn welcher Art auch immer, dezente Abwesenheit und Verwirrtheit des Geistes, gepaart mit einer zum Teil ein wenig verstörenden Kleiderwahl und krater-ähnlichen Augenringen wird hier hoch geschätzt. Eine nette Anekdote stellt für mich in diesem Zusammenhang immer noch jener Abend dar, im Laufe dessen sich eine ausufernd tanzende Gestalt dazu entschloss, meine Wange als lebenden Aschenbecher Zweck zu entfremden. Auf mein darauf folgendes Jammern und Winseln hin wurde der durchaus ernst gemeinte Versuch gestartet, mich mit folgenden Worten zu beruhigen:

„Abgeranzt auszusehen gehört in Berlin dazu.“

Nun gut, man kann das Ganze auch positiv sehen: Schließlich weiß man hier rein theoretisch, wie und als wer man aufzutreten hat, um mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Eindruck zu schinden. Angenehm zu wissen ist darüber hinaus, dass die Tätigkeit des Artikel Schreibens auch noch als ganz passabel durchgeht.

Dies alles zu verstehen, ist wieder etwas Anderes. Wieso zum Beispiel diese Maschinerie, um jeden Preis und in welcher Ausformung auch immer kreativ sein zu müssen, die im Endeffekt doch darauf abzielt, dass sich alle gleichsetzen, so gut funktioniert und gerade Berlin die Hochburg dieses Kreativitätsdrangs darstellt, bleibt mir genauso schleierhaft wie die Abwesenheit alter Menschen. Diesen Trend alleine mit der Tatsache zu erklären, dass ein Dasein in Berlin billiger ist als beispielsweise in Wien und somit schon eine gute Voraussetzung für kreative und somit in den meisten Fällen nicht einkommenssichere Tätigkeiten ist, halte ich für zu wenig. Aber vielleicht wisst ihr ja mehr? Das Rätselraten um Berlin geht weiter…

Wienerin in Berlin (I): Die Sache mit dem Kiez.

Wienerin in Berlin (II): Warum Berlin von der Wurst regiert wird

Wienerin in Berlin (III): Sprachbarrieren oder was ist ein Zuckerl?

Wienerin in Berlin (IV): Eine Hommage an den Club

Wienerin in Berlin (V): Weihnachtsmärkte des Grauens.

Wienerin in Berlin (VI): Die sexy Berliner Mauer.

Wienerin in Berlin (VII): Wien, schnoddrige Hauptstadt des Zwergenstaates Österreich.

Wienerin in Berlin (VIII): Berlin, wo sind deine Alten hin?

Eva Felnhofer

ist noch 3 Wochen in Berlin.

6 Kommentare

  1. being me

    20. Januar 2011

    wirklich gelungen
    großes kompliment an eure berlin schreiberin. die beiträge sind fast jede woche wirklich toll geschrieben. wie rottenberg nur witziger und spannender zu lesen. tolle sache!

    Reply
  2. Anne Panne

    20. Januar 2011

    Bin ganz bei being me
    Die Berlinartikel gehören wirklich zu euren besten! Nur weiter so, Eva hat wirklich eine feine Beobachungsgabe.

    Reply
  3. eva

    20. Januar 2011


    ooh, so etwas ist natürlich motivierend.. danke 🙂

    Reply
  4. warkus

    20. Januar 2011

    tolle artikel
    kompliment, wirklich ausnahmslos super zu lesen die berlin artikel! props yo!

    Reply
  5. marsbar

    31. März 2011

    bin auch
    der meinung: toll geschrieben, ausnahmslos! 🙂

    Reply
  6. Veronika

    28. Dezember 2011

    So ist es!
    Super Artikel! Hab lange in Berlin gewohnt und bin nun selbst wieder daheim in Wien. Die kulturellen Unterschiede, sofern sich in Berlin überhaupt von Kultur sprechen lässt, sind wirklich enorm. Verlautbart man dergleichen allerdings in Berlin, gibt’s sofort Zorres, Gezeter und anti-österreichische Hasstiraden (sogar von Freunden, obwohl Freundschaft dort auch eher ein weiter Begriff ist). Das ist dann besonders schön, wenn die Betroffenen selbst noch nie in Österreich gewesen sind und es auch nie sein werden… auf der anderen Seite ist letzteres wohl auch besser so.

    Reply

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt