16. Mai 2011

Berlin – Tränen an der Currywurst-Bude

Dass die Wurst, und vor allen Dingen die Currywurst, zum Berliner Leben dazu gehört wie die Milch zum Milchkaffee, ist längst kein Geheimnis mehr, ebenso wie die Tatsache, dass hier so manches ein wenig anders läuft als gewohnt. So haben es sich findige Wurstbuden-Besitzer zur Aufgabe gemacht, den schlichten Akt des Wurstverzehrs zu einem Erlebnis zu machen, das eher einer Mutprobe denn einer Mahlzeit gleicht.

Jeder Bissen ein kleiner Tod

Scoville lautet hier das entscheidende Stichwort, bezeichnet den Schärfegrad von Früchten der Paprikapflanze und findet seine praktische Anwendung in jenen Saucen, die tendenziell masochistisch Veranlagten auf Wunsch den Rachen verbrennen werden. Wer sich und seinen Mut beim Essen ein wenig beweisen möchte, der kann beispielsweise einen Abstecher zum berühmten Konnopke’s Imbiss machen, wo die Schmerzskala vom „himmlischen“ Standard-Ketchup über „sehr scharf“ mit 100.000 Scoville bis „höllisch“ mit 800.000 Scoville reicht (zum Vergleich: Der schärfste handelsübliche Tabasco misst in etwa 7.000 bis 8.000 Scoville).

Oder aber man besucht die feuerrot gestrichene Wurstbude an der Osloer Straße im Berliner Stadtteil Wedding, dessen Besitzer gar zwölf verschieden scharfe Saucen mit klingenden und reizvollen Namen wie „Ground Zero“ oder „Holy Shit“ anbietet, deren Konsum bereits ab Stufe fünf derart schmerzt, dass selbst die stärksten Männer plötzlich und für Unwissende scheinbar völlig unmotiviert in Tränen ausbrechen. Auf die besonders hart Gesottenen, nämlich jene, die sich konsequent durch alle zwölf Stufen geweint haben, wartet anschließend die ruhmvolle Ehre, eine Mitgliedschaft im „Schärfsten Klub der Welt“ zu erlangen, dessen Relevanz zwar fraglich, aber mitnichten eine ehrwürdige Sache ist. Für die schärfsten Tröpfchen hat der verantwortungsbewusste Besitzer übrigens sogar Jugendschutz eingeführt, sie werden an Gäste unter 18 Jahren gar nicht verkauft.

Essen, bis die Rettung kommt

Jene, die ihren sagenhaften Mut und ihren noch sagenhafteren Masochismus in einem etwas größeren Rahmen zur Schau stellen wollen, sei der Besuch eines Schärfe-Wettessens empfohlen, im Rahmen dessen sich die Teilnehmer in kurzer Zeit durch eine ansehnliche Schärfeskala arbeiten müssen. Auf jeweils vier Stückchen Wurst wird eine immer schärfere Sauce geträufelt, wer als erster einen Schluck aus der in Reichweite bereit stehenden und Schmerzlinderung versprechenden Milchpäckchen trinkt, scheidet aus. Unter grölenden Anfeuerungsrufen im wahrsten Sinne des Wortes und in fachkundiger Begleitung einer Rettungsmannschaft, die im Falle eines durch die Schmerzen verursachten Kreislaufkollapses Beistand leistet, kann das große Fressen dann auch schon losgehen und lässt mich aufs Neue mit einem mittelgroßen Fragezeichen ob der deutschen Gepflogenheiten im Unklaren.

Eva Felnhofer

ist noch länger in Berlin.

1 Kommentar

  1. Charles

    28. April 2011

    Gibt es dort
    auch a Hüsn und a 16er Blech?

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