5. Juli 2017

Wie wir unsere Kinder zu Tode liberalisieren

WienerGeschichten - Kindererziehung (c) STADTBEKANNT

Geschichten aus Wien

Drei Uhr Nachmittags in einem Nichtraucher Café in Wien. Die Stunde der Eltern und ihrer Kleinkinder hat geschlagen – Gnade Gott wer sich ihnen in den Weg stellt.

Neulich in einem Wiener Kaffeehaus: Ein älterer Herr liest Zeitung, ein junges Paar trinkt Kaffee und unterhält sich vergnügt miteinander, während am Tisch nebenan die Äpfel der Macbooks um die Wette leuchten. Es herrscht eine fast schon idyllische Ruhe an diesem verregneten Sommernachmittag. Mit einem Mal geht die Eingangstür auf und zwei Mütter rollen ihre leeren Kinderwägen in das Lokal, während deren Passagiere sofort an ihnen vorbeilaufen, um die Sitzbank im Eck des Lokals zu erklimmen. Ihre regennassen Schuhe hinterlassen schmutzige Abdrücke in den Pölstern der noch neuen Einrichtung. Die Mütter bestellen Fruchtjoghurt, aber mit den Früchten in einem extra Schüsserl, damit die Kinder etwas zum naschen haben. Dazu gibt es laktosefreien Cappuccino – auch als Mutter will man schließlich zeigen, dass man zu hipp ist für normale Milch.

 

Kaffeehaus oder Kinderspielplatz

Die Kinder sind völlig überdreht und fangen bald an, sich mit schrillen Stimmen gegenseitig anzuschreien. Die Frauen, beide Mitte dreißig, erzählen sich über den Lärm hinweg die Neuigkeiten aus ihrem Leben, also wie sich Sohn oder Tochter im Kindergarten tun, wie viel die Kleinen seit dem letzten Treffen gewachsen sind, und wo sich der schönste Spielplatz in der Umgebung befindet. Der Rest des Lokals hält sich die Ohren zu, die Kunden an den Nebentischen zahlen oder setzen sich um. Ein beherzter Kellner geht zu den Kindern, die mittlerweile an einem fremden Tisch stehen und dort andere Gäste anbrüllen. Seine freundliche Ermahnung leise zu sein hat eine Nachwirkung von genau fünf Sekunden, die erziehungsverantwortlichen Damen sitzen auch von dieser Intervention ungerührt auf ihren Sesseln.

 

Denn sie wissen nicht was sie tun

Plötzlich rennen die Kinder los und durch die offenstehende Eingangstür. Zum ersten Mal greifen die Mütter nun doch ein, erheben sich zögerlich und rufen ihre Kinder zurück. Diese vernehmen die elterlichen Rufe zwar ganz eindeutig, halten eine Millisekunde inne und werden schlussendlich aber nur dazu angespornt, noch schneller wegzulaufen. Als sie schon am Gehsteig angelangt sind fangen die Elternteile, immer noch strahlend den Kindern nachlächelnd, endlich doch an zu laufen, es sieht aus wie in einem Tom und Jerry Trickfilm. Schließlich setzen sich die größeren Beine durch und die Kinder werden sanft ins Lokal zurückgezerrt. Das Mädchen fügt sich seinem Schicksal, doch der Junge wirft sich mitten im Lokal auf den Boden, dreht sich wie ein Breakdancer um die eigene Achse und schreit dabei wie am Spieß.

 

Von der gesunden Watschen zur totalen Freiheit

Kindererziehung ist schwierig und die Geburt von Kindern in der heutigen Zeit der totalen Freiheit in der westlichen Welt ist ein harter Einschnitt im Leben der Erziehenden. Mit einem Mal müssen sie ihr egoistisches Leben voller Kaffee Lattes und Freelancearbeit im Coworking Space aufgeben, um vierundzwanzig Stunden am Tag für ein anderes Wesen zu sorgen. In Wien verfolgen viele Eltern mittlerweile ein ultraliberales Konzept zur Erziehung ihres Nachwuchses, in dem jegliches Setzen von Grenzen als Brandmarkung ihrer Kinder abgelehnt wird.

Nur ein Kind, das sich alles erlauben darf, kann ein glücklicher und kreativer Erwachsener werden – Kreativität ist überhaupt das Wichtigste, damit es einmal Grafik Designer, Journalist oder zumindest PR Fachmann werden kann. Jeder Mitmensch in der Umgebung hat die Alleinherrschaft der eigenen Sprösslinge zu akzeptieren, ein Kaffeehaus muss auch Kinderspielplatz sein dürfen. Dies alles wird dazu führen, dass unsere Kinder aus Mariahilf, Neubau und Umgebung wahrscheinlich noch viel egoistischere und egozentrischere Erwachsene sein werden, als wir es selbst schon sind.

 

Liberal bis in den Tod

Als unbeteiligter Kaffeehausgast und Nichtvater verfolgt man solche Szenen eher fassungslos und fragt sich, ob man die eigenen Kinder auch einmal so erziehen wird. Darf man aufstehen und den Eltern sagen, dass ihre Kinder sie nerven, oder ist man dann ein kinderhassender Beelzebub? Allerdings ist das Verhalten der Kleinen nicht nur nervig, sondern auch selbstgefährdend – nächstes Mal laufen sie vielleicht wirklich auf die Straße und bleiben nicht mehr am Gehsteig, weil auch dort keine Grenze gezogen worden ist.

5 Kommentare

  1. Antonia Pfretschner

    6. Juli 2017

    Sich (zurecht!) über die Vernachlässigung der Ausichts- und Erziehungspflicht der hippen Mamis zu echauffieren ist eine Sache. Wenn man dann die “Breakdance”-Wutanfall-Einlage eines Kindes als Resultat fehlgeleiteter Erziehung interpretiert und entsprechend verurteilt, entlarvt man sich selbst als Unkundiger auf dem Gebiet von kindlicher Entwicklung und Erziehungszielen und sollte eventuell überdenken sich in einem derartigen Zustand zu derlei Themen zu äußern…

    Eine, die kreischende Kinder und aufsichtsfaule Eltern nicht minder nervig empfindet als der Autor, aber über mehr fundiertes Hintergrundwissen verfügt…

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    • Doris Hildegard

      6. Juli 2017

      Na, wenn Sie meinen, dass es mit Ihrem “Hintergrundwissen” besser zum aushalten ist! Mich nervt
      so was auch ständig. Rücksichtnahme auf andere ist wohl nicht mehr “in” ?? Diese Kinder sind
      dann das, was wir heute als “Azubis” angeboten bekommen!! Spitzenmäßig !! Aber Hauptsache
      kreativ!! Wer zuhause keine Grenzen kennt wird später im Berufsleben immer wieder anecken.
      Das ist dann die Sorte, die die Ellenbogen auspackt und die sich wunderen wenn sie auch mal
      einen Ellenbogen in die Rippen bekommen. Schönen Dank auch !!

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  2. A

    6. Juli 2017

    Also ich trinke Laktosefreie. Kaffee weil ich bei normaler Milch innerhalb kürzester Zeit mich über den Tisch (verzeihen sie die Ehrlichkeit) übergebe! Nur sonst Rande über hipp sein

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  3. Jette

    7. Juli 2017

    Wenn man keine Ahnung vom Thema hat, dann sollte man bitte einfach – sorry für die Ausdrucksweise – die Klappe halten. Ich zitiere “gesunde Watschen”. Ernsthaft? Gesund? Schläge sind Schläge und niemals gesund oder förderlich! Und abgesehen davon es sind verdammt nochmal Kinder. Alle heulen rum, dass in Deutschland (und Österreich?) zu wenig Kinder geboren werden. Aber gleichzeitig ist die Umgebung so dermaßen kinderfeindlich, dass man keinen Bock hat, welche zu bekommen! Das fängt bei verlangter Frühbetreuung, zu wenig finanzieller Unterstützung und unverständigen Arbeitgeber an und endet bei arschlöchern die denken, jedes Kind, das im öffentlichen Raum einen Wutanfall bekommt, gehört mal ordentlich verdremmelt/gewatscht damit es wieder spurt sonst haben die Eltern versagt. Das ist einfach scheisse. So genug aufgeregt über fachunkundige Menschen. Ich gehe jetzt einen Kaffee trinken und mit meinen Kindern kuscheln.

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  4. Anmo

    7. Juli 2017

    Bevor ich Mutter wurde haben mich schreiende Kinder im Kaffeehaus auch genervt, und stellt euch vor jetzt als Mutter ist es immer noch so. Klar einen Wutanfall mit am Boden werfen kann man so gut wie nie verhindern und hat auch nichts mit Erziehung zu tun, aber dass man sich in einem Lokal ruhig(er) verhält ist Erziehungssache. Klar ist mein Kind auch mal laut und läuft auch herum, aber ich traue mich auch zu sagen “jetzt ist Schluss“ oder “leiser, es müssen nicht alle unterhalten werden“. Klar funktioniert das nur 3 von 5 mal, aber die Tendez ist steigend je älter das Kind wird. Für mein Kind ist klar am Spielplatz oder im Park geht so gut wie Alles in einem Kaffeehaus oder Restaurant muss man sich benehmen und da wird man auch mal zurechtgewiesen wenn man ein gewisses Maß an Übermut überschreitet. Es gibt auch für kleine Kinder einen Mittelweg zwischen gedrillten Gehörsam und kompletten Kontrollverlust.

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