Ein multikultureller Spaziergang von Maria am Gestade zum Heiligenkreuzerhof

Nach dem ersten Schnee in Wien kommt bei manchen von uns nun doch ein wenig Vorweihnachtsstimmung auf. Anderen wiederum ist heuer so gar nicht nach Weihnachten zumute. Wieder andere freuen sich schon wie jedes Jahr auf ihren Weihnachtsbaum. Wann und woher kam dieser eigentlich nach Wien? Und was hat es mit all den vielen Lichtern auf sich, die jetzt wieder überall leuchten?

Vieles wird uns in diesem Dezember verwehrt oder auch erspart bleiben, je nachdem, wie wir zum kommerzialisierten Weihnachten stehen. Ein Grund mehr, uns stattdessen auf einen historisch-spirituellen Spaziergang mit humoristisch literarischen Kommentaren durch die Geschichte der Wiener Weihnachtsbräuche zu begeben, in denen sich die weite Welt mit ihren vielen Religionen widerspiegelt.

Maria am Gestade Schleifen (c) STADTBEKANNT
Maria am Gestade Schleifen (c) STADTBEKANNT

 

Am Anfang war Maria (am Gestade) – Krippe, Kontemplation und konservative Zeitgenossen

Dem vorweihnachtlichen Gemenge entkommen wir in der Wiener Innenstadt ganz einfach: Der nicht selten als schönster gotischer Kirchturm von Wien bezeichnete Turm von Maria am Gestade leuchtet uns in den späten Nachmittagsstunden zu einem geheimnisvollen Platz mit dem wundersamen Namen Gestade: ein Plateau über der sich damals wesentlich näheren Donau rund um den Passauerplatz, wo die älteste Marienkirche Wiens steht. Sie diente einst den Donauschiffern als Orientierungspunkt (ein Relief mit Donauschiffern sehen wir über dem Hauseingang gegenüber an der Stiege, die hinunter zum Concordiaplatz führt) und den Fischern als Andachtsort. In ihr befindet sich von Dezember bis in den Februar hinein eine der schönsten und buntesten Krippen Wiens, die sogar zweimal ihr Antlitz wechselt.

Donauschiffer (c) STADTBEKANNT
Donauschiffer (c) STADTBEKANNT

Die Krippe, mit der Zeit zunehmend aus den privaten Haushalten verdrängt, stand in den vergangenen Jahrhunderten aber auch nicht selten unter Kritik. Um sie herum gestalteten sich nämlich in manchen Häusern der Stadt, in Wien war es das der legendären Frau Godel, sogenannte Krippenspiele, die von Sittenwächtern verdächtigt wurden, nicht der frommen Kontemplation, sondern vor allem der Anbandelei zwischen Mann und Frau zu dienen.
„Zur Mode ist es euch geworden, dass man hinaus in ganzen Horden. Alljährlich zur Frau Godel geht … . Man gibt dort Rendezvous im Stillen, denn wer geht um der Krippe willen …“ (Joseph Richter in einem Gedicht im Jahre 1802)
Das kleine Gässchen unseres Retters, dessen Geburt wir zu Weihnachten feiern, die Salvatorgasse, führt uns an der Fischerstiege vorbei zum Hohen Markt, wo es Zeit ist, über ein weiteres wichtiges Requisit weihnachtlicher Rituale nachzudenken.

Fischerstiege (c) STADTBEKANNT
Fischerstiege (c) STADTBEKANNT

Oh Tannenbaum! – ein feierlicher Baum macht Furore in Wien

Die Frage, wer den Christbaum nach Wien gebracht hat, konnte bis dato nicht eindeutig geklärt werden. Fest scheint zu stehen: katholischer Provinienz ist er nicht. Hier, am Hohen Markt 1 stoꞵen wir auf eine Frau, von der wiederholt behauptet wird, dass sie ihn in Wien eingeführt habe. Es handelt sich um Franny Arnstein, eine aus Deutschland stammende Jüdin, die nach Wien heiratete und hier legendäre Salons abhielt. Für einige Jahre wohnte die Familie am Hohen Markt, das Palais ist nicht mehr erhalten aber viele Zeugnisse über die geselligen Abende, nicht zuletzt jene um einen geschmückten Tannenbaum. Den Rang streitig macht ihr die als sehr sozial eingestellte geltende Henriette von Nassau, die Frau des Erzherzog Karls, eine Protestantin, die sich nicht zum Katholizismus zwingen lieꞵ, und die den Christbaum quasi aus ihrem protestantischen Haus zum Missfallen des Kaisers – Franz II./I. – an den Wiener Hof mitnahm, der sich aber bald mit diesem anfreundete.

Hoher Markt (c) STADTBEKANNT
Hoher Markt (c) STADTBEKANNT

Fest steht, dass bis zur Mitte des 19. Jahrhundert Christbäume nur in adeligen und groꞵbürgerlichen Häusern Einzug hielten. Dort erregten sie aber im Metternichschen Polizeitstaat wiederholt Aufsehen, weniger ihrer selbst als des regen sozialen Treibens um sie herum wegen.
So auch einer jener weihnachtlichen Abende im Hause von Fanny Arnstein, wobei gleich eine Portion scheinbar salonfähigen Antisemitismus und auch Preuꞵenfeindlichkeit mitschwingt: „Bei Arnstein war vorgestern nach berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihnachts- und Christbaumfest. Es waren dort der Staatskanzler Hardenberg, die Staats-Räthe Jordan und Hoffmann, Fürst Radziwill, … . alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses …“
Passend zu Wien ist jedoch der Umstand, dass Metternichs dritte Ehefrau ebenfalls üppige Weihnachsfeste rund um einen geschmückten Christbaum liebte.
Erst ab der Wende zum 20. Jahrhundert schmückte der Christbaum auch die kleinbürgerlichen Haushalte und auch so manche ArbeiterInnenfamilien konnten sich einen leisten – über eine Million Bäume wurden um 1900 aus allen Ecken der Monarchie nach Wien geliefert.
In den „Jugenderinnerungen einer Arbeiterin“ schildert die in den 1870er Jahren Kind seiende spätere Herausgeberin der Arbeiterinnenzeitung und herausragende sozialdemokratische Rednerin Adelheid Popp, wie ihr das seltene und von der Mutter durch schwere Fabriksarbeit hart verdiente Glück eines Weihnachtsbaums durch den Alkoholikervater verdorben wurde, der den Baum betrunken mit der Axt zerschlug. Soweit wäre nicht einmal der Mundl in „Ein echter Wiener geht nicht unter“ gegangen.

Ein Fest des Lichtes – viele Tradtionen in einer Stadt

Bevor Weihnachten ein christliches Fest wurde, war es ein heidnisches Lichterfest, an dem die Wintersonnenwende gefeiert wurde: der Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Vieles davon findet sich in den Weihnachtsfesten der verschiedenen Religionen wieder, die seit langem in Wien heimisch sind.
Der Adventkranz beispielsweise, wieder etwas, das uns urkatholisch erscheint und doch aus dem protestantischen Hamburg zu uns kam. Er war die Erfindung eines Theologen und Erziehers, der armen Straꞵenkindern mit vier groꞵen und zwanzig kleinen Kerzen leuchtende Momente in der dunklen entbehrungsreichen Zeit (bis 1917 war die Vorweihnachtszeit laut Kirchenrecht strikt Fastenzeit) bescheren wollte.

Vom Hohen Markt geht es hinein in die Judengasse:
Auch das jüdische Weihnachtsfest Chanukka, das ursprünglich ebenso wie das christliche Weihnachtsfest weniger oppulent als heute gefeiert wurde, kreist um das Motiv des Lichts oder besser um acht (manchmal neun) Kerzen und feiert die Wiedereinweihung des zweiten ursprünglich von den hellenisiertende Sekleuden zerstörten Tempels in Judäa.
Besonders im Zionismus gewann diese Interpretation von Weihnachten an Bedeutung. Theodor Herzl, an den wir an der Theodor Herzl-Stiege erinnert werden, sah in den Makkabäern, die sich gegen die hellenisierten Juden und die hellenisierenden Syrer auflehnten, das neue zionistische Menschengeschlecht. Gleichzeitig gehörte Herzl zu jenen jüdischen BürgerInnen in Wien, die, ob assimiliert oder nicht, das Weihnachtsfest als „deutsche“ Sitte auffassten und es als sozial-geselliges Fest mit Weihnachtsbaum feierten, was ihnen nicht selten die Verachtung der jüngeren und kämpferischen Generation einbrachte, die am Weihnachtsabend zornig das Elternhaus verließen.

Seitenstettengasse Tempel (c) STADTBEKANNT
Seitenstettengasse Tempel (c) STADTBEKANNT

Lichter der Liebe – Oh du stille Weihnachtszeit?

Seit diesem November haben Lichter in diesem so idyllisch versteckten Ort rund um die Seitenstettengasse, der gleichzeitig eine kleine Ausgehmeile beheimatet, eine traurig-schaurige Bedeutung bekommen, im besten Fall Liebe und Gedenken spendend.
Still und in Gedanken an die sich hoffentlich nicht fortsetzende Gewalt gehen wir die Seitenstettengasse hinunter am Stadttempel vorbei, in dem jedes Jahr ab Ende November/Anfang Dezember auch die Chanukkia, der achtarmige Weihnachtsleuchter brennt und kommen wieder in die funkelnde Zone des Kommerzes aber auch der vorweihnachtlichen Begegnung, die Rotenturmstraße, um sogleich in die mittelalterlich anmutende, schummrige Griechengasse einzubiegen, vorbei an der Georgskapelle zur Griechisch Orthodoxen Kirche. Dort wird Weihnachten nicht wie in anderen orthodoxen Religonen am 6. Jänner, sondern am 25. Dezember gefeiert.
Eine Adventzeit gibt es im griechisch orthodoxen Glauben nicht, dafür eine lange Feierzeit, die sich oft bis zum 6. Jänner erstreckt und in der man singend von Haus zu Haus zieht, Kuchen bäckt, in dem eine Münze versteckt ist und vieles mehr. Da in der Vergangenheit viele Griechen als fahrende Händler unterwegs waren, manche von ihnen kamen auch bis hierher ins nach ihnen benannte Griechenviertel und lieꞵen sich hier nieder, und oft das ganze Jahr ihre Familie nicht sahen, dehnte man das Feiern auf viele Tage aus.

Die Griechenkirche zur Heiligen Dreifaltigkeit (c) STADTBEKANNT
Die Griechenkirche zur Heiligen Dreifaltigkeit (c) STADTBEKANNT

Am Ende steht die Menschlichkeit – von Weihnachtsmärkten und Schenkmuffeln

Auch wenn, oder besser gesagt, gerade weil in diesem Dezember keiner der in Wien seit hunderten von Jahren beliebten Weihnachtsmärkte und auch nur vereinzelte Punschstände (Mozart lernte das damals in Wien nicht sehr bekannte Heiꞵgetränk in England kennen und lieben) auf uns warten, sei hier die englische Vikarstochter und leidenschaftliche Reisende Frances Trollop genannt, die 1836 auch nach Wien kam und dort vom (vor)weihnachtlichen Treiben in der Stadt mehr als entzückt war. Sie besuchte Märkte und Geschäfte und lobte Wiens Weihnachtsangebot über alles: „Die Kaufleute wetteifern untereinander, welcher von ihnen die lockendste Auswahl an erlesener Dinge in ihren verschiedenen Läden auszustellen vermag …“ Wie würde sie sich heute äuꞵern?
Ganz anders als Trollop empfand der generell als Muffel stadtbekannte Schriftsteller Franz Grillparzer, der auch ein Weihnachts- und vor allem ein Schenkmuffel par exellence war und das mit viel Liebe von der Salonnière Karoline Pichler für ihn ausgesuchte Schreibbuch am liebsten beim Fenster hinausgeschmissen hätte.
Vielleicht hätte er sich an den Worten des Kaffeehausliteraten und Satirikers Alfred Polgar erfreut, der viele Jahre später schrieb: „Eine Stimmgabel ist angeschlagen, eine Stimmungsgabel. Und die große Mehrheit weiꞵer Menschen schraubt ihr Herz auf die gleiche Tonlage … übel dran zu Weihnachten sind die Menschenfeinde. An den Dämmen, die ihr Hass aufgerichtet hat, bricht sich das Meer von Liebe, das in diesen Tagen alle Küsten bespült, wo Christenmenschen und Assimilierte wohnen. Düster sitzen sie da in ihrer Isoliertheit und giften sich“ (Aus: „Vor Weihnachten“)
Im stillen Heiligenkreuzerhof angekommen, spricht noch einer zu uns, der alles andere als still war und dem keine Tradtion hierzulande heilig war: Helmut Qualtinger, der hier im vielleicht ältesten Zinshaus Wiens das letzte Jahrzehnt seines Lebens gemeinsam mit der Schauspielerin Vera Borek wohnte.
Hier, jenseits der Lichter der Innenstadt lassen wir uns noch einen der vielen abgründigen und zutiefst wienerischen Sketche von Qualtinger und Gerhard Bronner „Travniceks Weihnachtseinkäufe“ im Dezember 1959 uraufgeführt im Theater am Kärntner Tor auf der Zunge zergehen:

FREUND: Was, Travnicek, denken Sie, wenn Sie Weihnachtseinkäufe machen?
TRAVNICEK: Ich denk, was das kostet. Wann i des im Frühjahrsabverkauf besorgt hätt, wär’s dasselbe g’wesen, aber um die Hälfte billiger.
FREUND: Sie sind prosaisch, Travnicek. Man schenkt doch, um den Leuten Freude zu machen. Macht es Ihnen keine Freude, wenn Sie was geschenkt kriegen?
TRAVNICEK: Vorige Weihnachten schenk i mein Onkel a Krawatten, die mir g’fallt. Er schenkt mir eine, die ihm g’fallt. Wann i a Glück hab, kann i mi dran aufhängen.

 

Elke Papp

So gerne hätte euch die Stadtverführerin auf diesem weihnachtlichen Spaziergang durch die Wiener Innenstadt begleitet. Zur Zeit ist das nur für fünf Personen aus einem Haushalt erlaubt. Bei Interesse bitte mailen! Nach dem 6. Jänner 2021 steht dann hoffentlich unseren Spaziergängen in Kleingruppen nichts mehr im Wege! Anregungen findet ihr auf der Homepage www.stadtverfuehrerin.at oder mailt mir: mail@stadtverführerin.at
Sucht ihr ein nachhaltiges Geschenk? Das gibt es bei mir in Form von Gutscheinen für Spaziergänge. Gutscheine für nachhaltige Umweltschutztouren in Wien gibt es auch unter: info@austriaguidesforfuture.at

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