29. Juli 2011

Was hat uns bloß so ruiniert?

Bis zu 800.000 Menschen leiden in Österreich an Depressionen. 900.000 nahmen wegen psychischen Leiden im Jahr 2009 Leistungen der Krankenkasse in Anspruch. Eine neue Studie zeigt, dass weltweit 121 Millionen an Depressionen leiden dürften. Besonders betroffen sind Länder mit höherem Einkommen.

Laut der Studie von BMC Medicine, die auf der Auswertung von 90.000 Interviews basiert, geben 15 Prozent der BewohnerInnen reicher Länder an, einmal in ihrem Leben an einer Depression zu erkranken. Besonders stark betroffen waren Frankreich, die USA und die Niederlande, besonders wenig an Depressionen erkrankte Menschen gibt es in China. Frauen sind generell stärker betroffen als Männer. Im Durchschnitt aller Länder beträgt das Verhältnis von Frauen zu Männern bei Depressionen 2:1.

Die WHO warnt davor, dass Depressionen immer mehr zu Volkskrankheiten werden und in zwanzig Jahren hinter Herz-Kreislauf Erkrankungen und Krebs zu den häufigsten Krankheiten zählen werden.

Depressionen und Selbstmorde

Zugleich sind mindestens 60 Prozent, eher aber 70 bis 80 Prozent der Selbstmorde auf Depressionen zurückzuführen. Diese gehen zwar seit den 1980er Jahren auch in Österreich zurück, betreffen aber nach wie vor mehr als 1200 Personen pro Jahr. Im Jahr 2009 waren es 1.273 Personen, seit Mitte der 1980er sind es jedoch deutlich mehr als jährlich an Autounfällen sterben. Sowohl an Autounfällen als auch an Selbstmord sterben wesentlich weniger Menschen als noch in den 1980er Jahren. Bei den Autounfällen fiel der Rückgang jedoch wesentlich stärker aus. Bei Selbstmorden wird der Rückgang auf die stärkere Enttabuisierung psychischer Erkrankungen und verbesserte Prävention zurückgeführt. Gerade bei der Prävention ist aber noch viel zu tun.

Auch auf die Unfähigkeit weiter am Erwerbsleben teilzunehmen, auf vorzeitige Pensionierungen und langfristige Krankenstände haben Depressionen eine starke Wirkung.

Der Verein pro mente Austria weiß zu berichten, dass sich die Anzahl der Krankenstandtage die auf psychische Erkrankungen zurückzuführen sind seit 2000 von 1,4 Millionen auf fast 2,66 Millionen Krankenstandstange erhöht hat.

Was ist da los?

Auffällig ist, dass Depressionen in ärmeren Ländern weniger häufig vorkommen als in reichen. Sicherlich ist dort auch die Diagnostik weniger weit fortgeschritten, aber das alleine kann die enormen Unterschiede zwischen den Ländern doch nicht zur Gänze erklären.

Einer der ältesten Ansätze der Suizidforschung könnte bei der Erklärung dieses Phänomens hilfreich sein. Émile Durkheim konnte in seinem Werk über den Selbstmord zeigen, dass Selbstmorde bei wirtschaftlichen Krisen, oder Kriegen nicht steigen .Ganz im Gegenteil während Krisenzeiten sank ihre Anzahl sogar.

Durkheim prägte den Begriff der Anomie um eine Situation zu beschreiben in der eine Zerrüttung der gesellschaftlichen Normen und Werte auftritt. Anomie wirkt sich stark steigernd auf die Anzahl der Selbstmorde aus, etwas das wohl auch für die Depression gilt.

Länder mit intakteren Sozialstrukturen, die den Einzelnen in Zeiten der Not weniger auf sich allein gestellt zurück lassen, können Lebens- und Sinnkrisen dieser besser auffangen. Auch ist das Entleeren des christlichen Kerns der europäischen Ethik nicht begleitet worden, von der kollektiven Festigung anderer ethischer Grundlagen. Das Ergebnis ist ebenfalls Anomie.

Die starke Zunahme des Arbeitsdrucks verbunden mit einer starken Abnahme des darin zu findenden Sinns sind weitere Grundlagen auf denen die Volkskrankheit Depression gedeiht. Das alte Arbeitsmuster der möglichst lebenslangen Karriere, die dem Bau eines Einfamilienhauses am Rande der Städte dient, hat sich erledigt. Völlig unklar ist mehr und mehr Menschen für wen sie sich eigentlich Tag ein und aus abrackern sollen.

Nicht zu vergessen ist das Phänomen einer zunehmend unverständlich gewordenen Welt, die von einer Krise in die andere taumelt, wo aber jedes Ereignis für sich genommen im allgemeinen Rauschen untergeht und kein einziges mehr gesamtgesellschaftlich bearbeitet wird. Kein Wunder, dass sich das Verrückte mehr und mehr Raum erobert und die Depressionen zunehmen.

Stadtbekannt wird sich mit dem Thema Depression im Herbst im Rahmen eines Gesundheitsschwerpunktes intensiver beschäftigen. Informationen für Betroffene, Angehörige und andere Interessierte sind auf www.depression.at zu finden.

3 Kommentare

  1. Nina G.

    30. Juli 2011

    Depressionen bedeuten
    endsetzliches Leid für betroffene und Angehörige. Schade, dass das Thema immer noch zum Teil tabuisiert ist. Hoffentlich ändert sich da etwas, bin jedenfalls auf den stadtbekannt Herbst Beitrag gespannt.

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  2. Minus 50 Prozent

    30. Juli 2011

    So viele Betroffene
    unfassbar, vor allem auch, dass nichts getan wird…

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  3. Alex

    7. August 2011

    Konkurrenzdruck
    Naja, seit Beginn der kapitalistischen Produktionsweise gab es ihre Kritiker, die darauf hinwiesen, dass diese Form die einzelnen Menschen zermürbt. Dies hat sich im Laufe der letzten 200 Jahre nur bestätigt. Andauernd.

    Aber in Armen Ländern gibt es halt andere Probleme! Die Menschen sind dort nicht viel glücklicher, auch wenns heisst die wären so froh um das bissl das sie ham. Das ist Exotismus und beschönigt das Elend dort.

    Solange die Menschheit noch nicht soliarisch zueinander als Ganzes ist, wird es Zermürbungen und Druck aller Art geben.

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