18. Juni 2014

The Rolling Stones in Wien

Mikrofon (c) STADTBEKANNT

Der 11-jährige Dreikäsehoch war verstört, als er seine frisch erbettelte Bravo Hits in hoffnungsfroher Erwartung auf eine weitere Ohrwurmzucht in den Tiefen seiner Stereo-Anlage verschwinden sah. Sekunden später erschallte nämlich kein obligates EDM-Gewitter, sondern ein bedrohliches Gitarrenriff als Ouvertüre für eine Männerstimme, deren verschrobene Kaltblütigkeit das Verbotene, das Anzügliche nur so durchs Kinderzimmer wirbelte. Die wackelige Kunstpalmenkulisse des Mr. President-Posters erschien ihm mit einem Mal völlig unzeitgemäß, herunterreißensreif.
Nach Befragung eines elterlichen Dolmetschers kehrte er kreidebleich vor die Box zurück und spielte den Song erneut ab. „Anybody seeeeeen my ba-by?“ Das mangelnde Verantwortungsbewusstsein des Mannes ließ ihn erschaudern. Wie in Drei-Teufels-Namen kann man auf sein Baby vergessen? Hat es ihm am Ende jemand gestohlen? Wo könnte es denn sein und was geschieht wohl gerade mit dem Kind? 1997 – Schlaflos in Leopoldstadt.

Generationenkonflikt light

Ironischerweise war diese Band, die 30 Jahre zuvor noch als Synonym für den weltweiten Aufbruch aus der bürgerlichen Kleinkrämermoral galt, für das Ende meiner kindlichen Beschwerdelosigkeit verantwortlich. Auch wenn der eingefleischte Stones-Eiferer lieber den Mantel des Schweigens über diesen laschen Versuch, mit dem damaligen Zeitgeist um die Wette zu rollen, werfen möchte – dieser Ausreißer von Song stupste mich unverhofft ins Fahrwasser der gefährlichen Musik. Dem neu angeeigneten Geschmack kamen dabei nur meine Eltern in die Quere. Für einen Prä-Pubertanten ist es ja überaus befremdlich, wenn aus Wohn- und Kinderzimmer die gleiche Musik dröhnt, also entschied ich mich, diese Vorliebe möglichst geheim zu halten, um sie dann irgendwann ganz zu vergessen.
Keith Richards hatte also irgendwie Recht. Im Ö1-Interview meinte er auf die Frage, ob er stolz darauf sei, eine so bunte Generationenvielfalt vor die Bühne zu locken, dass er dies vermutlich nur allen Eltern zu verdanken habe, die ihren Kindern die Eintrittskarte aufzwingen würden. Oder sagen wir: sich bei der Möglichkeit, dem eigenen Nachwuchs ein Stückchen aufgefrischte Jugend servieren zu können, aufopfernd spendabel zeigen.

The show must go on

Der Nachwuchs jedenfalls jubelte. Nach dem Abgang der kaum hörbaren Vorband kehrten erste Anzeichen von Hysterie ins Happel-Oval ein. La Ola ging durch die Sektoren und die Stones-Zunge liebkoste die Vidi-Wall, ehe sich Mick nach dem allgemeinen Wohlbefinden erkundigte: Start me up! Wenn du dich Künstler nennst und das Wiener Publikum binnen Augenblicken derart upstartest, wähne dich beruflich in Sicherheit. Während sich der nimmermüde Sir in der Folge von Hit zu Hit tänzelte, sorgte Keiths hausmeisterhafte Grundwurschtigkeit für die symbiotische Abrundung. Der demonstrative Genuss seiner Halbzeit-Zigarette als Verhöhnung des militanten Körperbewusstseins unserer Zeit, erntete tosenden Jubel und leitete mit „You got the Silver“ eines der Highlights dieses ohrenbetäubenden Spektakels ein.

Friede, Freude, Satisfaction

Gegen Ende hin flachte die allgemeine Euphorie etwas ab. Das oberösterreichische Mittfünfziger-Quartett, das unmittelbar vor mir saß, wurde allmählich zappelig. Die unzähligen Selfies und das Schmieden abenteuerlichster Heimreisepläne, waren Indikator genug, dass der erhoffte Funken, der magic moment, irgendwo zwischen Bühne und Rängen hängen blieb. Dieser scheiterte aber garantiert nicht an der Lebensfreude der Protagonisten, sondern wohl eher am Überraschungsmangel, verursacht durch eine seit Dekaden beinahe unberührte Setlist: „De spün a scho seit Zwoanzg Joah dessöwi.“

Nach zwei Zugaben wars vorbei. Die Generationen schlossen musikalischen Frieden, die Welle ebbte nach Hause und die Steine rollten weiter nach Düsseldorf. Was übrig bleibt ist Sätisfäktschn – nicht mehr, nicht weniger.

1 Kommentar

  1. Robert

    19. Juni 2014

    Superwitziger Text!
    Ich war auch dort, um meine Jugendhelden zu bewundern, aber jetzt werdns schon alt

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