16. Dezember 2010

Stadtbekannt Kontrovers: Wie alt sollten ÖsterreicherInnen werden?

Traue niemandem über 30, an diesen Grundsatz hat sich Hermine N. aus Favoriten, die am 24. Dezember ihren 110. Geburtstag feiert (wir gratulieren herzlich), scheinbar nicht gehalten. Auch für die klassische Rockstarkarriere mit Sex, Drugs, Rock ´n Roll und dem frühzeitigen Ertrinkungstod im eigenen Swimming Pool, konnte sie sich scheinbar nicht erwärmen. Stattdessen könnte sie von Wien um 1900, der Monarchie, der Hyperinflation der 20er Jahre und vielem mehr berichten.

Wie alt sollten wir werden?

ÖsterreicherInnen entscheiden sich immer seltener dafür frühzeitig ins Grab zu beißen und würde nicht am Land die Tradition des „Betrunken Autofahren“, vor allem von jungen Männern, hochgehalten werden, es stünde noch schlechter um das vorzeitige Ableben. Zwar gibt es auch immer weniger Menschen, die nach 30 mühseligen Jahren bei der Post mit Anfang 50 in den Ruhestand gehen und sich die nächsten Jahrzehnte den Gartenzwergen in der Schrebergartensiedlung widmen, aber alt werden wir doch. Ja wir werden alt und immer älter und dementsprechend sind wir alle länger alt und vor allem gibt es auch immer mehr Alte.

Wer soll das alles bezahlen?

Die PensionistInnen fressen uns die Haare vom Kopf, diesen und anderen Unsinn hören wir häufig. Das stimmt so nicht, denn auch PensionistInnen gehen zum Frisör und dieser lebt dann von der Umverteilung der Pensionsbeiträge, die er selbst auch mitfinanziert hat. Aber mit diesem neoliberalen Unsinn müssen wir uns auch gar nicht lange aufhalten. Deswegen gleich in medias res, wie alt sollen wir werden?

In Zukunft werden wir wissen woran wir wahrscheinlich sterben.

Viele Menschen, vor allem in Ländern mit schlechterer öffentliche Pensionsversicherung wie Österreich setzen bei ihrer Altersplanung auf private Vorsorge. Diese ist zumindest theoretisch machbar, so lange es für die Versicherung um ein Risiko geht, zugleich aber nicht relativ genau planbar ist, woran wir sterben werden. In naher Zukunft wird es aber möglich sein, ausgehend von genetischer Disposition und den Lebensumständen ein Profil zu erstellen, das uns Auskunft über erwartbare Krankheiten und erwartbare Lebensdauer geben wird. Dann dreht sich die Risikoabwägung quasi um. Aus dem Risiko an Krebs zu erkranken, wird immer mehr die Planbarkeit, dass diese oder jene Person mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an Lungenkrebs erkranken wird.

Sobald es möglich ist solche Profile zu erstellen, wird es Versuche geben diese auch zu machen. Spätestens dann spießt sich das Versicherungsprinzip mit der Demokratie. Denn Gewissheit oder Annäherungsvarianten lassen sich nicht versichern, nur Risiko lässt sich versichern. Ganz davon abgesehen, dass sich völlig neue gesellschaftliche Fragen ergeben, wenn ich berechnen kann, dass ich um 30 Prozent wahrscheinlicher 130 werde als mein Nachbar.

Spätestens dann haben wir nicht mehr viele Varianten zur Auswahl. Wir können gesellschaftlich beschließen dieses Wissen nicht zu nützen, was historisch noch nie funktioniert hat. Wir können Menschen von Versicherungsleistungen ausschließen, weil sie zu krank oder zu gesund sind. Oder wir können private Versicherer verbieten, weil sie ersteres tun werden.

Sollen wir sterben müssen?

In den USA gab es im Zuge der Einführung von Obamacare eine Diskussion über die so genannten „Todesgremien“ der Regierung, die angeblich entscheidende würden, wann Oma ins Gras beißen muss. Das war natürlich nicht viel mehr als Propaganda der Oppositionspartei, aber die Frage wird sich früher oder später dennoch stellen: Wie alt dürfen wir werden?

Ab dem Moment in dem Gesundheit planbarer wird, wird es zur gesellschaftlichen Frage werden, ob ich selbst ungesund leben darf, wenn die Wahrscheinlichkeit dadurch vierzig oder sechzig Jahre Pflege in Anspruch zu nehmen sehr hoch ist. Je älter wir trotz Krankheiten die uns plagen, werden können, desto wahrscheinlicher werden diese Fragen gestellt werden.

Wenn ich selbst alt bin, wird man bei optimaler Pflege vielleicht trotz zahlreicher angesammelter Wohlstandskrankheiten vielleicht noch vierzig oder sechzig Jahre, vielleicht aber auch nur zwanzig Jahre als pflegebedürftiger Mensch leben können. Je weniger mein Leben, krank sein und Sterben ein unplanbares Risiko wird und je genauer wir bestimmen können, welche Faktoren mich gesund halten, krank machen, sterben oder leben lassen, desto eher wird die individuelle Gesundheitsfürsorge durch die verordnete ersetzt werden.

Es mag eine Dystopie sein, aber persönlich glaube ich nicht, dass die Zeit in der die Planung diese Entscheidungen beeinflussen wird, all zu weit entfernt ist. Denn Versicherungen, auch staatliche, können nur Risiken versichern. Sobald aus Risiken planbare Gewissheiten werden, wird es bei insgesamt endlichen Ressourcen zu Entscheidungen kommen wie diese individuell zugeteilt werden. Dies wird entweder nach einer Marktlogik oder nach einer demokratischen Logik ablaufen. In jedem Fall werden am Ende des Prozesses aber zumindest mittelbar Entscheidungen über Leben und Tod stehen. Entweder nach der Logik „kann bezahlen/ kann nicht bezahlen“, oder nach der Logik „so viel ist für jeden finanzierbar“.

Zuerst Gesundheit dann Tod

Die ersten Schritte werden sicher im Bereich der Prävention gesetzt werden. Was mit Rauchverboten beginnt, wird mit verordneten Vorsorgeuntersuchungen und verschriebenen Abspeckkuren weiter gehen. Am Ende steht allerspätestens dann, wenn wir nicht mehr sterben müssen, sondern es „können“, vermutlich aber schon dann wenn die Phase des Altseins immer länger verglichen mit der Phase des Jungseins wird, die Entscheidung über Leben und Tod stehen.

Es sind heikle Fragen die sich dann gesellschaftlich stellen, da ich die Konsequenzen die dazu führen jedoch für unvermeidbar halte, täte eine frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Thema Not.

Ein Kommentar von Daniel Steinlechner

Daniel Steinlechner

Mit Fug und Recht: Über Sinn und Unsinn

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