9. Dezember 2010

Stadtbekannt Kontrovers: Gesamtschule sofort, alles andere ist Unsinn.

Wenn es nicht so traurig ist, müsste man eigentlich lachen. Denn die Tatsache, dass das Österreichische Bildungssystem mit Baustelle unzureichend und mit Abbruchhaus treffender beschreibbar ist, ist allgemein bekannt. Daraus wird aber nichts abgeleitet, vielmehr wird eine Abbruchparty im Dauerdurchlauf gefeiert, als Partyopfer dient die Jugend des Landes.

Wenn ein Missstand zum Dauerzustand wird, an seiner Behebung aber kaum gearbeitet wird, entfaltet er ein gewisses Maß an absurder Komik. Die Reaktion der österreichischen Politik, allen voran der völlig unbeweglichen ÖVP, erinnert an die letzten Minuten auf der Titanic. Der Untergang wird wortgewandt beweint und statt die Rettungsboote klar zu machen, wird erstmal zum Arbeitskreis geladen. Vielleicht kann man das sinkende Schiff ja wegdiskutieren.

Die Basics:

Die PISA Ergebnisse in Österreich sind ein Desaster, soweit besteht Konsens über alle parteipolitischen Grenzen hinweg. Nun muss man PISA keinesfalls für eine heilige Kuh halten, sowohl die Auswahl der einzelnen für „wichtig“ befundenen Fächer, als auch die Diskussion über Sinn und Unsinn internationaler Bildungsvergleiche ist berechtigt und notwendig. Festzustellen bleibt aber, ob man PISA nun als Aufhänger verwendet oder nicht, dass es nicht ungewöhnlich ist in Österreich am Ende des Pflichtschulbesuchs nicht sinnerfassend lesen zu können.

Dieser Umstand allein genügt vollkommen aus, um das Bildungssystem in Österreich als Abbruchhaus und die Stadthauptschulen als das morsche Dachgeschoss auf das sich keine/r mehr rauf traut, zu beschreiben.

Soziale Selektion

Es ist eine Frechheit, dass unser Bildungssystem gesellschaftliche Klassen reproduziert. Denn wer Österreichs Schulen als Kind von MigrantInnen oder ArbeiterInnen bzw. beidem besucht, wird in aller Regel auf dem Niveau seiner/ ihrer Eltern verharren. Kinder auf Grund der Herkunft ihrer Eltern von Bildung auszuschließen ist mit einer Demokratie nicht vereinbar. Wo es trotzdem stattfindet untergräbt es die Fundamente der Demokratie und legt die Keimzelle für zukünftige Unruhen und Aufstände. Die Wut der dauerhaft Ausgeschlossenen wird sich entladen, wenn nicht Heute dann eben Morgen. Österreich wird seine Vorstadtunruhen bekommen, wenn wir es nur wollen, oder durch Untätigkeit nicht verhindern.

Es ist seit vielen Jahrzehnten bekannt, dass Österreichs Bildungssystem in have und have not´s trennt. Wer aus bildungsfernem Haushalt kommt wird aussortiert, bei wem zu Hause die Bücherregale überquellen, wird den Anforderungen des Systems mühelos entsprechen können.

Beispiel gefällig?

Als ich in Innsbruck die Volksschule besuchte, waren viele aus meiner Klasse und der Schule generell mit ihren Eltern vor den Kriegen am Balkan geflohen. Zusätzlich mit den Kindern der „Gastarbeiterinnen“ stellten sie die fast 50 Prozent MigrantInnenkinder in unserer Klasse/ Schule.

Ganz davon abgesehen, dass schwer kriegstraumatisierte Kinder „natürlich“ nicht entsprechend psychologisch betreut wurden und wir und sie mit diesen Problemen alleine gelassen wurden. Wurde wie in allen Volksschulen am Ende der vierten Klasse entschieden, wer in ein Gymnasium darf. Jetzt dürft ihr raten wie viele MigrantInnenkinder dabei waren?

Kein einziges unserer MigrantInnenkinder durfte ein Gymnasium besuche! Dafür durften wir die vierte Klasse mit einem vierzehnjährigen Jungen mit türkischem Migrationsbackground teilen, was für ihn und uns eine Zumutung war. Die Schule ist nämlich daran gescheitert ihm die deutsche Sprache beizubringen und hat das Problem schön von Jahrgang zu Jahrgang weiter verschoben. Diese Geschichten nur als Beispiel dafür was sich jährlich tausendfach an Österreichs Schulen abspielt.

Gesamtschule, alles andere ist Schwachsinn

Österreichs Bildungssystem ist ungerecht, vom Kindergarten bis zur Universität wird nach Herkunft, Geschlecht, Status und Bildungskompetenz der Eltern selektiert. Sicher keine Selektion ist „perfekt“ es gibt immer auch beispiele von Menschen die das Bildungssystem trotz zahlreicher Nachteile erfolgreich absolvierten, aber es bleibt eben bei Ausnahmen.

Die Lösung ist seit Jahrzehnten bekannt. Zahlreiche europäische Länder betreiben seit Jahrzehnten erfolgreiche Gesamtschulen. In ihnen wird mindestens zwischen dem 6. und dem 14. Lebensjahr nicht differenziert. Erst danach wird ein je eigener Bildungsweg ergriffen. Dass das funktioniert ist recht leicht zu überprüfen, man schlage beispielsweise Finnland bei den PISA Tests nach und vergleiche mit Österreich. Das Ergebnis: Finnland hui, Österreich pfui! Warum also nicht von den Besten lernen?

Ausreden nichts als Ausreden

Obwohl zahlreiche europäische Länder seit Jahrzehnten mit Gesamtschulen operieren und dort weder der Sozialismus noch die befürchtete „Nivellierung nach Unten“ eingetreten ist, kann in Österreich die Neue Mittelschule flächendeckend nach wie vor nicht eingeführt werden. Es wäre zu einfach die Schuld dafür nur der ÖVP zu zuschieben, denn bei entsprechendem öffentlichem Druck adaptiere Parteien ihre Positionen oder gehen unter, so funktioniert Demokratie. So würde es auch für die ÖVP funktionieren, wenn der gesellschaftliche Druck nur stark genug wäre. einzuführen Die Vorschläge liegen auf dem Tisch

LehrerInnen und Eltern die Dunkle Seite der Macht

Schuld sind die Eltern der Mittelschicht, die in aller Regel peinlichst darauf bedacht sind, ihren Kindern einen illegitimen Startvorteil zu erhalten. Es ist einerseits die alte Angst vor der Unterschicht und ihren „Schmuddelkindern“, es ist aber auch die Abstiegsangst die in Zeiten prekärer Jobverhältnisse und weit verbreiteter Arbeitslosigkeit zum ständigen Begleiter wird. Aber wo immer Angst das Denken bestimmt, erschwert sie bloß jede positive Veränderung.

Denn Österreichs Bildungssystem ist nicht die Schengenaußengrenze der Mittelschicht. Standesdünkel und Wegbeißen sozial schwächerer, können keinen Ersatz für eine progressive Sozialpolitik sein.

Der Kompanion der besorgten Eltern sind Österreichs LehrerInnenvertreter und allen voran die GymnasiallehrerInnenvertreter. In der irrigen Annahme, dass der Staat dazu da wäre ihre partikularen Sonderinteressen zu wahren, werden sie zu Verhinderern jeder Bildungsreform. Nicht nur, dass sie in der abstrusen Annahme bestätigt werden, es wäre ihre Aufgabe das österreichische Bildungssystem zu definieren, lehnen sie auch jede Anpassung an die moderne Arbeitswelt an.

Geschenkt, eine Ganztagesgesamtschule wird anders aussehen müssen als bisherige Schulbauten. Es wird Arbeitsplätze für LehrerInnen und ausreichend Platz für SchülerInnen brauchen. Aber aus dieser Notwendigkeit zum Umbau, eine generelle Unveränderlichkeit des Bildungssystems abzuleiten ist schon ein starkes Stück.

Eine Koalition der Willigen

Wenn sich das Bildungssystem ändern soll, braucht es eine Koalition aller Kräfte die guten Willens sind. Das Bildungsvolksbegehren ist ein erster Schritt, vor allem braucht es aber den Druck der Zivilgesellschaft die Bildungsministerin bei ihren mutigen Reformen zu unterstützen. Es braucht den Druck ihrer Partei, sie nicht bei jeder Verhandlung im Regen stehen zu lassen, sondern tatsächlich zu unterstützen. Es braucht den Druck der Zivilgesellschaft auch , falls LehrerInnenvertreter dauerhaft zu keinem neuen Dienstrecht bereit sind.

Denn LehrerInnen werden mehr unterrichten müssen, wenn eine Ganztagesamtschule umgesetzt werden soll. Daran führt kein Weg vorbei. JunglehrerInnen werden besser verdienen müssen, generell werden sie mehr Zeit in Fortbildung und in ihre Unterrichtszeit investieren müssen. Außerdem muss es zu einer Anpassung im Dienstrecht bei Pflichtsschul- und GymnasiallehrerInnen kommen. Es ist nicht einzusehen warum letztere auf Kosten ersterer Privilegien pflegen sollten. Für diese Zusatzleistungen sollten sie administrativ entlastet werden.

Wenn ein solcher Weg konsensual nicht möglich ist, sollte man es m.E. auf einen Streik der LehrerInnen ankommen lassen. In der Gesellschaft gäbe es für einen derartigen Streik genau null Verständnis. Wenn das gesamtgesellschaftliche Interesse auf der einen Seite und die Wahrung von Partikularinteressen auf der anderen Seite so weit auseinander fallen, braucht es vielleicht einmal eine Niederlage für letztere um die Dinge wieder zu Recht zu rücken.

Vor allem sollte die Zivilgesellschaft aber klar stellen, dass wer auch immer sich einer Bildungsreform konsequent verweigert in Zukunft nicht mehr gewählt wird. Erst dann wird jener Druck erzeugt, der die Dinge verändert.

Ein Kommentar von Daniel Steinlechner

Daniel Steinlechner

Mit Fug und Recht: Über Sinn und Unsinn

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