6. März 2015

Spittelberger Lieder

Spittelberg (c) STADTBEKANNT

Was besingen die Spittelberg-Lieder?

Die engen Gassen am Spittelberg und seine Nähe zu Glacis und Burgtor (damals der meist frequentierte Eingang in die Stadt), die vielen Handwerker und Tagelöhner – all das zog in diesem Grätzl früh Gastronomie einerseits und das Rotlicht andererseits an.

Historisches

Mitte des 19. Jahrhunderts hatten 58 der 138 Häuser des Spittelbergs – der Name leitet sich von Spitalberg ab (ab 1525 gehörte er dem Bürgerspital) – eine Schankberechtigung, das Viertel war aber schon zu Zeiten Kaiser Josephs II. (bis 1790) ein Ort der Prostitution, eine Einrichtung, die der Kaiser offiziell bekämpfte, angeblich aber ganz gerne bemühte. Um zu wissen, was im Volk vorging, trieb er sich inkognito öfter auf Märkten, Handwerksstätten und Vergnügungslokalen herum. Auf dem Lokal „Witwe Bolte“ auf dem Spittelberg, damals ein Bordellwirtshaus, steht noch heute geschrieben: „Durch dieses Thor im Bogen – ist Kaiser Josef II. geflogen (1778).“

Seinen Höhepunkt als Zentrum von Lastern und Seuchen (wiederum der engen Bebauung wegen) feierte der Spittelberg aber später. Im 19. Jahrhundert prägten Huren, Gaukler, Bettler und Schriftsteller das Straßenbild. Die Bürger anderer Vororte suchten hier käufliche Liebe und bezahlten mit Geschlechtskrankheit. Durch die Gewährung der Schauspielfreiheit durch Joseph II. blühten hier die Wandertheater hinter Bretterverschlägen und feuchten Mauern auf. Zu dieser Zeit war der Spittelberg auch ein wichtiger Entwicklungsschritt für Wiener- und Kabarettlieder. In den „Spittelbergliedern“ ergötzte sich das Publikum an der – sonst verbotenen – Kritik an der Obrigkeit. Oder eben einfach an platter, teils grausiger Pornografie. Hier einige Beispiele für hart Gesottene:

Die steirischen Menscha
Die liegn aufn Klee
Sie reckn von Weitn Scho(n)
d’ Haxn in d’ Höh.
Laßts gehn d’ alten Weiba
Is a hellnarisch Gsind
Bei der Arbeit ganz langsam
Beim Schuastern ganz gschwind.

A so tua net so langsam
Und so tua net so gschwind
Und wanns da wohltuat, muaßt aufhörn
Sunst machst mar a Kind.

Und wanns Dirnderl finsta schaut
Kennt ma si aus
Stehts rot in Kalenda
Bua, heunt wird nix draus.

 

Bis in die 1920er-Jahre blieb der Spittelberg ein – zunehmend verkommendes – Beispiel eines innerstädtischen Rotlichtviertels. Danach bremste die Wirtschaftslage die Kaufkraft auch bei der Liebe. Das Grätzl verfiel immer mehr, bis es Ende der 1960er erste Pläne gab, das Spittelbergviertel zu schleifen und große Wohnanlagen zu errichten. Die Bewohner wehrten sich erfolgreich, bis 1973 der Beschluss folgte, den Spittelberg zu sanieren. Heute ist das Grätzl eine Luxusgegend, zwischen deren Biedermeierhäusern sich gerne die neue Bourgeoisie herumtreibt – in Lokalen, Galerien, Kunsthandwerkstätten und auf dem Christkindlmarkt. Gemeinsam mit dem benachbarten MuseumsQuartier und der Mariahilfer Straße gilt der Spittelberg als Zentrum des Bobo-Lebens.


„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt