20. Mai 2010

Sie haben unsere tollen Unis kaputt gemacht!

Preisfrage: In welchem Land, außer Deutschland natürlich, studieren die meisten deutschen Studierenden? Genau, in den Niederlanden.
Was? In den Niederlanden? Und dort gibt’s trotz Teutonensturm noch ein funktionierendes Universitätssystem? Mehr noch, Lehre auf internationalem Top-Niveau, wie es in Österreich nur in den Köpfen von BildungspolitikerInnen herrscht (leider lassen sie uns an ihren Exzellenz-Clustern nicht teilhaben) und ein Betreuungsverhältnis, das nicht an eine Beziehung zu Robbie Williams im Ernst-Happel-Stadion (so nah und doch so fern) erinnert.

An den 14 Universitäten und 40 Fachhochschulen der Polder-Monarchie studieren nach momentanen Schätzungen 22.500 Deutsche, während in Österreich knapp 20.000 Nachbarn aus dem Norden inskribiert sind. Die Niederlande sind damit vor Österreich und Großbritannien das beliebteste Studienland für Deutsche. An der Universität Maastricht belegen sie bereits ein Drittel aller Studienplätze und an den FH hat sich ihre Zahl in den vergangenen sieben Jahren verdreifacht. Trotzdem herrscht in den Niederlanden auch nicht annähernd ein solch vergiftetes Klima mit Ressentiments gegen deutsche Studierende, die von politischer Seite teils bewusst geschürt wurden. (Bonmont am Rande: sogar der dritte Nationalratspräsident Martin Graf von der FPÖ sah sich bemüßigt von einer „neuen Qualität der Ausländerhetze“ zu sprechen – ansonsten ja nicht unbedingt das größte Problem für die FPÖ) Ganz im Gegenteil verabschiedete das niederländische Parlament Anfang Februar ein Gesetz zur Vergabe von Joint Degrees (nein, es handelt sich hier wirklich um Uni-Abschlüsse), mit ausländischen Partnerunis. 
Es können also viele Menschen studieren und trotzdem qualitativ hochwertige Lehre genießen? Hoffentlich verrät das niemand den Studierenden in Österreich, da schließt sich das nämlich gegenseitig aus…

Hierzulande ärgert man sich nämlich augenscheinlich über viele junge Menschen mit Bildungshunger und versucht sie mit Quoten und Zugangsbeschränkungen zu vertreiben.
Diese Quotenregelungen werden ohnehin bald der Geschichte angehören. Hebt doch bald ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs die belgische Quotierung in bestimmten Studienrichtungen auf – Mediziner-Quote Ade.
Doch am Beispiel Belgiens, ebenfalls ein Land mit einem großen Nachbarn (fast) ohne Sprachbarriere, sieht man, dass Österreich mit rasch ansteigenden Studienzahlen nicht allein ist. Ein Argument mehr für einen wirklichen europäischen Hochschulraum in dem man studieren kann wo man will und Ausgleichszahlungen wie in Skandinavien, zielgerichtete Finanzierung garantieren.

Doch in Österreich sieht man die Dinge gern einfacher. Ausländische Studierende sind es also nicht, die allein an der Uni-Misere schuld sind. Kein Problem, Sündenböcke haben wir genug.
Scape Goating 2.0: die Publizistik-, Psychologie- und Politikwissenschaftstudierenden sind Schuld, dass Österreichs Universitäten finanziell am Sand und strukturell am Boden sind.
Ganz klar, wer nicht Mikrobiologie oder Betriebswirtschaftslehre studiert, den braucht am Arbeitsmarkt niemand und der soll auch am besten gar nicht erst studieren.
AbsolventInnenbefragungen in vielen sozial- und geisteswissenschaftlichen Studienfächern sprechen da zwar eine andere Sprache, dass auch deren AbsolventInnen eine Beschäftigung finden, aber da schauen wir mal großzügig drüber hinweg. Sind in diesen Fächern doch viele unter den Uni-Protestierenden inskribiert und für solche hatte man in Österreich noch nie ein Herz. Frei nach der altgriechischen Tradition nicht den Verursacher, sondern den Boten einer Missetat hinzurichten sollen die, die wagten zuerst Kritik zu üben über die Klinge springen.

Dabei ist auch der umgekehrte Weg von einem naturwissenschaftlichen Studium in eine fachfremde Beschäftigung möglich und nicht ungewöhnlich wie der Biochemiker Timothy Skern in einem Standard-Interview berichtet.
Auch die tausenden BWL-AbsolventInnen werden nicht gerade vor lauter Nachfrage aus der WU-Mensa gekidnappt.
Es wird immer Professionen und Kenntnisse geben die am Arbeitsmarkt zu gewissen Zeitpunkten mehr oder weniger nachgefragt werden. Daraus jedoch abzuleiten, man müsse gewisse Studienrichtungen geradezu verbieten macht ebensoviel Sinn wie umgekehrt Werbekampagnen für prekäre Lehrstellen.
Universelle Bildung, innovatives Denken und kreative Umgangsformen damit lernt man nämlich auch nicht in jedem Labor sondern vor allem auf breitgefächerten und ausfinanzierten Hochschulen.
Möglichst umfassende Bildung für möglichst viele Menschen muss das Kapital eines kleinen Landes ohne riesige Industrie oder nennenswerte Bodenschätze sein.
Wenn also nicht im Salzkammergut Öl gefunden wird oder wir alle eine florierende Bank für dubiose Geschäfte eröffnen, könnte es bald nicht mehr Österreich sondern eher Österrarm heißen.

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