13. Juli 2014

Schlusspfiff in Wien

Es ist vollbracht. Die umstrittenste WM aller Zeiten wird heute im entweihten Maracańa-Stadion von Rio ihr Ende finden. Meine ganz persönliche Bilanz: Unsummen verlorener Wett-Euros, geschätzte X Räusche und ein neu entdeckter Jäger-und-Sammler-Trieb, als es darum ging, 640 Panini-Pickerl zu ergattern. Es ist erstaunlich wie sich der ursprüngliche Boykotteur dieses Brauchs in ein geiferndes Tier verwandelte, das am Höhepunkt seiner Entwürdigung in die Billa-Filliale huschte und die zur Vervollständigung noch dringend benötigten Zusatz-Pickerl aus dem 4-er Tragerl Coca-Cola kletzelte – nicht ohne dabei von einem Angestellten erwischt zu werden, quasi doppelte Demütigung.

Diese WM, die reinste Feldforschung

Patriotismus, das ist wenn man sein angebliches Fan-Dasein um diesen wirren Blick ergänzt, der mir insbesondere bei Spielen der deutschen Nationalelf mulmige Gefühle bereitete. Auch und vor allem dann, wenn der Grölian, der sich gerade noch inbrünstig „Deutschland über alles“ gewünscht hat, seinen Dialog mit dem Stehnachbarn im tiefsten Simmeringisch fortsetzt. Auch die lustig bemalten Hornbrillen im WUK sahen die schwarz-rot-goldene Einheitsästhetik in ernstlicher Gefahr als man im Zuge des Achtelfinal-Public Viewings der algerischen Nationalelf ein paar herbei improvisierte, aufmunternde Gesänge widmete. Mit Schaum vorm Mund bäumte sich ein halbes Dutzend wackerer Recken vor uns auf: „Was fällt euch ein? Wir zahlen hier Steuern. Wir helfen mit, euer Land aufzubauen.“ Danke, steht schon.
Abgesehen von der deutschen Hymne, die mir den diesjährigen Sommer-Ohrwurm aufzwang, lernte ich auch sonst viel von dieser Weltmeisterschaft. Wenn Costa Rica alles wegputzt, und man sein Schlafgemach über einer Latino-Bar hat, sollte man nicht bis 7:00 Uhr früh mit der Situation hadern, sondern seine Sachen packen und Bekannte aufsuchen, die ruhiger wohnen. Zum Beispiel über einem italienischen Ristorante. Außerdem habe ich die Magie der Ottakringerstraße zu spüren bekommen, die fähig ist, selbst den emotionslosesten Fußballignoranten (wie meine Begleitung) zum Fähnchen schwingenden Kroatien-Fan um zu modeln. Auch hat uns der ORF die (heile) Welt wieder ein Stück näher gebracht: Ein Brasilianer ist ein Capoeiratänzer, der an vollbusigen Sambatanten vorbeiturnt, deren Getrommel offenbar einen manischen Lachzwang auslöst. Und ein Österreicher ist Marc Pircher. Aber gut, den ORF für sein Rahmenprogramm anzuschwärzen ist langweiliger geworden als Roman Mählichs Schwiegersöhnchen-Schmäh. Das sah auch der Großteil der Wiener Gaststätten so, die spätestens nach der Vorrunde auf ARD umsettelten und den Expertisen von Thomas König & Co. per Fernbedienung die Lizenz entzogen.

 

Die Herausforderung meines Lebens

Leider muss ich mir – wie bei jeder WM – eingestehen, als Fußballconnaisseur, für den ich mich ursprünglich hielt, versagt zu haben. Der große (Mit-)Favorit Spanien war nach zwei Spieltagen Geschichte, Frankreich und Belgien sind wohl noch die Nuance zu unabgebrüht und meine Three Lions von der Mutterinsel der Lederfrucht waren ein sang- und klangloser Fall für den Streichelzoo. Weil ich nach der Gruppenphase ohne Team dastand, entschied ich mich für die Truppe mit dem attraktivsten Spielstil, also Kolumbien. Dann entschied ich mich fürs Team mit der emotionalsten Hintergrundgeschichte, also Brasilien. Blöderweise schieden meine Teams immer sofort aus, kaum hatte ich mich auf sie eingestellt. Meine Politik, aufs geringere Übel zu setzen, zog sich also bis ins Finale hin und steht dort vor der größten Herausforderung der bisherigen WM: Deutschland gegen Argentinien?
Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich heute Abend wohl den verpöntesten aller Sätze auspacken: Möge der Bessere gewinnen.

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