22. Oktober 2010

Rot und Grün in Wien

HC Strache war schnell mit seiner Verurteilung der Koalitionsverhandlungen zwischen Rot und Grün: „Michael Häupl macht Wien zum Exerzierfeld linkslinker Gesellschaftsexperimente“, stellte er fest. Linkslinks ist eine schöne Wortkombination, sie erinnert an alte Oldtimer, junge Jugendliche und antike Antiquitäten. Es ist aber vor allem ein gutes Stichwort, denn Bürgermeister Häupl meinte in einer TV-Konfrontation, dass für ihn die Gesamtschule kein no go, sondern ein go go sei. Die linkslinke Regierung wird aus der Gesamtschule ein gogo machen, soviel kann man jetzt schon feststellen.

Aber zum eigentlichen Thema:

Seit gestern gab es Gerüchte, dass es Regierungsverhandlungen zwischen Rot und Grün in Wien geben wird. Heute gegen 11:00 Uhr wurden diese Gerüchte von Bürgermeister Häupl bestätigt. Gehen wir einmal davon aus, dass die Koalitionsverhandlungen ernsthaft in Richtung Regierungsbildung geführt werden und nicht nur eine taktische Finte sind. Denn auch diese Möglichkeit steht im Raum, schließlich können Koalitionsverhandlungen ja scheitern, im Nachhinein könnte man so behaupten, man habe es ja versucht mit den Grünen aber es geht eben nicht. Ob es gehen wird hängt aber letztlich von beiden Partnern ab.

Bis 3.November sollen die Verhandlungen zu einem Abschluss gebracht werden, die Postenaufteilung und die kommenden Budgets werden ganz am Ende verhandelt.

Was bedeutet das?

Die SPÖ wird zum zweiten Mal in der 2.Republik in Wien in einer Koalitionsregierung regieren. Das erst Mal war das nach den Wahlen 1996 damals mit der ÖVP der Fall, alle anderen Regierungen waren SPÖ Alleinregierungen. Diese zweite Koalitionsregierung Wiens wird zugleich die erste rot-grüne Regierung Österreichs sein.

Eigentlich ist es aber eine rotrot-grüne Regierung, um beim billigen Eingangsschmäh zu bleiben. Die SPÖ hat mehr als vier Mal so viele Mandate wie die Grünen (44 gegenüber 11) und mehr als drei Mal so viele Stimmen. Vor allem für grün affine WählerInnen wird die Regierung deshalb fast notwendig auch eine Enttäuschung sein. Denn bei diesem Mandatsstand versteht sich von selbst, dass die SPÖ die tonangebende Partei sein wird. Die Grünen dürfen mitregieren, ob es mehr als ein mitregieren sein wird, ist jedoch unwahrscheinlich.

Die Zerreisprobe für die Grünen wird deshalb nicht klein sein. In den Verhandlungen wird man zahlreiche Zugeständnisse machen müssen, die bei vielen MandatarInnen vermutlich nicht geringe Hoffnung auf Posten, Einfluss und Macht, wird sich jedoch nicht im selben Ausmaß erfüllen.

Dennoch können die Grünen von dieser Koalition fast nur profitieren. In den Innergürtelbezirken werden sie für viele rot-grün WechselwählerInnen zukünftig, sofern sie sich in der Regierung profilieren, sehr viel leichter wählbar sein. Die Option, dass eine Grün-Stimme in Wien zukünftig auch einen Regierungsauftrag bewirken kann, wird die Partei mit Sicherheit seriöser wirken lassen und damit auch wählbarer machen. Selbst wenn die Grünen scheitern, droht ihnen im schlimmsten Fall die ohnehin schon gewohnte Oppositionsbank.

Für die SPÖ ist das Risiko einer Koalition mit den Grünen sehr viel größer. Für einen Teil der SPÖ-StammwählerInnen sind die Grünen ein no go, dieser WählerInnentypus der ohnehin teilweise schon eine starke FPÖ Affinität aufweist, könnt sich nun vollends verabschieden. Die Gefahr, dass Rot und Grün wie ein elitär links boboeskes Projekt der gehobenen Bildungsschichten wahrgenommen wird, ist gegeben. Andererseits ist es für die Grünen die Möglichkeit ihren starken Sozialfokus endlich auch denjenigen Schichten schmackhaft zu machen, die davon eigentlich am meisten profitieren würden.

Eine Regierung zwischen rot und grün kann aber auch die Unterschiede zwischen den beiden Parteien wieder stärker sichtbar machen. Während es im letzten Wahlkampf eine starke thematische Annäherung gab, könnten sich nun in der Regierungszusammenarbeit die beiden Parteien auf ihre Stärken konzentrieren. Die SPÖ könnte mit den Grünen ein historisches Bündnis schließen, dass es letzteren ermöglicht in „ihren“ Bezirken zukünftig viel stärker zu werden, während die SPÖ ihre StammwählerInnen in den Flächenbezirken zurückerobert. Wenn das gelingt, könnte sich eine dauerhafte stabile rot-grüne Mehrheit in Wien etablieren.

Das nächste Mal schwarz blau?

Die SPÖ kann mit den Grünen gewinnen, sie kann aber auch viel verlieren. Mit der ÖVP konnte sie fast nur verlieren, die Enttäuschung über diese immer gleiche Regierungsform Österreichs ist einfach längst viel zu groß geworden. Andererseits hätte sie mit dieser Koalition die ÖVP an sich gekettet und ein längerfristiges “dahinsiechen“ mit sinkender, aber immer noch großer WählerInnenzustimmugn wäre denkbar. Sprich: die SPÖ hätte vielleicht bei weiteren Wahlen weiter verloren, könnte aber trotzdem bequem weiter regieren.

Rot-Grün hingegen kann auch im klassischen Sinn scheitern. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich ÖVP und FPÖ auf der Oppositionsbank besser verstehen als bisher. Wenn rot-grün scheitert, gäbe es beim nächsten Mal – zumindest theoretisch – eine schwarz blaue Option. Diese Option gäbe es bei rot-schwarz ziemlich sicher nicht und genau diese Option ist das große Risiko, dass die SPÖ bereit ist einzugehen.

 Riskant und interessant:

Die SPÖ war bereit dieses Risiko einzugehen. Die Einsicht, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, wenn Häupl nicht von Strache als Bürgermeister abgelöst werden möchte, war scheinbar stärker als die Frucht vor dem Experiment.

Das Experiment wird voraussichtlich einiges in Wien verändern, wenn auch nicht jeden Wunschtraum aller rot-grün affinen WählerInnen befriedigen. Sollten sich die Bundesländer mit der Regierung auf eine Verländerung der Schulkompetenzen einigen, wird es in Zukunft in Wien eine Gesamtschule geben. Selbst wenn man die totale bildungspolitische Zersplitterung Österreichs doch nicht ermöglicht, wird der Fokus in Wien in den nächsten Jahren auf Ganztagsgesammtschulen (oder halt Neue Mittelschulen) liegen. Vermutlich noch stärker als bisher. .

Auch im Integrationsbereich ist eine weitere Forcierung der Linie von Stadträtin Sandra Frauenberger sicher. Eine „härtere“ Politik in diesem Bereich ist nicht zu erwarten. Eher im Gegenteil, wird hier wohl der Unterschied zwischen rot-grüner Regierung und der FPÖ künftig noch stärker betont. Chance und Risiko zugleich. Das jahrzehntelange Einknicken von rot und schwarz vor der FPÖ in der AusländerInnenpolitik, könnte so erstmals unterbrochen werden. Entweder es gelingt den gesellschaftlichen Diskurs zu ändern, oder dieser fegt die rot-grüne Regierung hinweg. .

Bettelverbot und Übernachtungsgebühr für Obdachlose in Notschlafstellen, wird es in dieser Form mit den Grünen nicht geben. Dass daran die Koalitionsgespräche scheitern ist allerdings unwahrscheinlich, schließlich ist beides auch SPÖ intern heftigst umstritten. .

Auch im Verkehrsbereich wird es sanfte Änderungen geben. Viele Projekte sind bereits langfristig projektiert, der Straßenbahn könnte im öffentlichen Verkehr jedoch künftig eine etwas wichtigere Rolle zukommen, ob auch die Grüne Forderung nach billigere Öffie Tickets umgesetzt wird, muss sich noch weisen.

Große Schwierigkeiten dürften die Grünen mit ihrer Rolle als Kontroll- und Regierungspartei haben. Die größten werden sie jedoch mit den zahlreichen BürgerInneninitiativen bekommen. Gegen jedes städtische Bauvorhaben gibt es Widerstand von Anrainerinnen und anderen Betroffenen. Wie die Grünen zukünftig BürgerInennbewegung und Regierungspartei sein wollen, liegt in den Sternen. Aber nicht nur im Spiel heißt es ja, wer nicht wagt der nicht gewinnt.

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt