14. Juli 2011

Es gibt wichtigeres als die Töchter in der Bundeshymne? Ja, aber der Vorwurf kommt bei jeder frauenpolitischen Forderung.

Die mediale Aufregung über die Unwichtigkeit der Hymnenänderung ist eine scheinheilige Posse, verkennt die Aufgaben von Politik und kommt nicht ohne Grund gerade bei einer frauenpolitischen Forderung.

Der Text der Bundeshymne ist mir von sportlichen Großereignissen und dem Erlernen während der Volksschulzeit in Ansätzen vertraut. Die dritte Strophe, deren Brüderchöre inkonsequenterweise nun nicht geändert wurden, war mir zu meinem Erstaunen allerdings selbst völlig unbekannt. Auf die Idee dieses Lied selbst zu trällern bin ich bislang nicht gekommen und wenn es nicht unbedingt sein muss, wird sich das auch zukünftig nicht ereignen.

Denn der Text dieses Liedes ist Heimatkitsch nach Art des romantisierenden Österreichbildes der 50er Jahre. Es ist ein völlig geschichtsvergessenes Idyll, das im Text besungen wird. Der antiquierte Paternalismus, der die Nation als Übervater zeichnet, deren BewohnerInnen als Söhne und nun auch als Töchter besungen werden, bleibt auch in der nun veränderten Version erhalten.

Eine Komplettänderung der Bundeshymne wäre konsequent. Andererseits, wie sollte das aussehen? Ist eine Hymne auf Höhe der Zeit, ohne Heimatfilmkitsch und Nationenverherrlichung vorstellbar? Ich glaube nicht, vielmehr könnte sich eine Mehrheit wohl auf „I am from Austria“ einigen und da können wir doch froh sein, dass es so weit nicht kommen wird.

Die Wichtigkeit der Dinge

Ja, der paternalistische Grundton der Hymne bleibt erhalten und ja es gibt sehr viel Wichtigeres als eine Änderung der Bundeshymne. Aber wäre dieses Argument ein ernsthaftes und nicht nur die Standardfloskel auf jede frauenepolitische Forderung, so wäre es eine Verkennung der Aufgabe von Politik. Diese ist Mikro- und Makrosteuerung zugleich. Weder die Verhandlungen zur Eurokrise, noch etwaige Vorschläge zur Verwaltungsreform oder zu bildungspolitischen Forderungen, werden durch die Änderung der Bundeshymne irgendwie tangiert.

Nennt es Multitasking wenn ihr wollt, oder ist jemand ernsthaft überrascht, dass sich Regierung und Parlament mit mehreren Dingen gleichzeitig (!) beschäftigen können?

Um diesen verlogenen Unsinn trotzdem noch eines Argumentes zu würdigen, sehe man sich einfach die Beschlüsse des Nationalrates in den letzten 30 Tagen an, was hier möglich ist. Themen waren unter anderem das Pflegefondsgesetz oder auch das Ökostromgesetz, aber auch die Gewährung eines Zuschusses an das Burgenland wegen der 90-jährigen Zugehörigkeit zur Republik, das Apothekerkammergesetz oder ein Übereinkommen betreffend die Prüfung und Bezeichnung von Edelmetallgegenständen.

Nicht alles unbedingt Beschlüsse von atemberaubender Tragweite. Was ausblieb war jedoch der öffentliche Aufschrei, dass die Politik es wagte sich mit diesen Themen zu beschäftigen oder gar die Aufforderung, stattdessen Wichtigeres zu tun. Dass das bei der Hymnenänderung umgekehrt schon der Fall war, ist natürlich kein Zufall. Weil es heute nicht mehr möglich ist frauenpolitische Forderungen öffentlich einfach abzukanzeln, wird das Thema auf die angeblich Sachebene verlagert, wo sich dann eben immer etwas „Wichtigeres“ findet. 

So auch bei der Bundeshymnenänderung, wo es, wenn es nach dem Willen einiger ÖVP Abgeordneter gegangen wäre, wohl bis zum Sanktnimmerleinstag immer gute Gründe gegeben hätte, weshalb es gerade Wichtigeres zu tun gäbe.

Symbolische Bedeutung

So lange Hymnen gesungen werden, ist nicht einzusehen, warum in diesen nur Männer besungen werden. Persönlich könnte ich auch sehr gut ohne Hymne leben, aber von einem Hymnenverzicht ist vorerst nicht auszugehen.

Gegen die Töchter in der Hymne konnte niemand ein triftiges Argument vorbringen, außer der Feststellung einiger, dass die Hymne ja nun grammatikalisch entstellt sei. Auch das ist ein beliebtes Argument gegen gendergerechte Sprache. Gegen schwer verdauliche Stabreime wie umstritten/mitten, Söhne/Schöne, Zeiten/Schreiten, hat hingegen scheinbar niemand etwas einzuwenden.

Realiter wurde durch die Hymnenentscheidung natürlich niemand von wichtigeren Beschlüssen abgehalten. Das Argument dient nur der Torpedierung eines symbolisch wichtigen Beschlusses, das Frauen im offiziellen Lied der Republik sichtbar macht, gegen den sich sonst kein Argument fand.

Wenn es demnächst einmal wieder um Quoten und die Lohnschere geht, man könnte also sagen um „Wichtigeres“, wird man es trotzdem mit Sicherheit wieder hören: „Gibt es in diesem Land denn nichts Wichtigeres zu tun?" Wird es dann heißen und viele werden sich nicht zu blöd sein, dem öffentlich beizupflichten. Immerhin gibt und gab es genug Frauen, die ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen, sonst dürften sie wohl heute noch nicht wählen. Denn von Eurokrise bis zur Bezeichnung von Edelmetallgegenständen gäbe es wohl gerade "Wichtigeres" zu tun. 

Daniel Steinlechner

Mit Fug und Recht: Über Sinn und Unsinn

4 Kommentare

  1. Marko van Basten

    14. Juli 2011

    Ich find es gäbe
    trotzdem viel, viel wichtigeres.

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  2. salomon

    14. Juli 2011

    less pathos please
    Dei USA vor dem bankrott, Griechenland pleite, bei uns geht es nur um die Hymnenänderung. Seien wir doch froh darüber;)

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  3. Marion

    14. Juli 2011

    Jawoll
    gut gebrüllt gefällt mir.

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  4. martha

    14. Juli 2011

    bin ganz deiner meinung!
    ausserdem ist es ziemlich schlimm, dass sogar die eigene partei einen nicht zu wort kommen lassen will.

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