23. November 2010

Eine Hommage an meine Großmutter

Mich hat der Artikel „Was hätte meine Großmutter ohne Fernseher gemacht?“ (Standardartikel vom 21.11.2010) im Standard sehr nachdenklich gestimmt. Es wird darin ein Problem skizziert, das für unsere Zeit, wie mir scheint, sehr kennzeichnend ist. Hochbetagte Menschen werden oft als passiv, lethargisch und bedauernswert wahrgenommen und dargestellt. Ich finde das sehr problematisch. Natürlich sind viele Hochbetagte von multiplen körperlichen Gebrechen betroffen, aber sie sind noch immer denkende Subjekte mit einer Geschichte, nämlich ihrer Geschichte, die es zu hören lohnt und haben einen Alltag. Sie haben Lebenserfahrung und sind ein Teil unserer Familien. Wir alle haben die Jugend nicht gepachtet und werden auch einmal in ihrer Situation sein. Das hohe Alter zu tabuisieren und Betroffenheit zu zeigen ist definitiv nicht genug.

Wie wollen wir behandelt werden wenn wir in diesem Lebensalter sind? Wie wollen wir leben?

Das Alter ist kein Abstellgleis, sondern eine immer längere Lebensphase, die es zu gestalten gilt. In der Gerontologie (Altersforschung) unterteilt man das Alter grob in zwei Phasen. Man spricht vom dritten und vierten Lebensalter, den „Jungen Älteren“ und den Hochbetagten. Die aktivste Phase ist die Erste. In dieser Zeit genießen die Senioren ihre neu gewonnene Zeit und nutzen sie für Reisen, die Pflege von Sozialkontakten, Hobbies, gemeinnützige Tätigkeiten und Sport. Der menschliche Körper baut bekanntermaßen mit dem zunehmenden Alter immer mehr ab. Die Gruppe der Hochbetagten ist meist von mehrfachen körperlichen Beeinträchtigungen betroffen und hat meist immer weniger Sozialkontakte, was mehrere Gründe hat. Ein Großteil des Freundeskreises lebt nicht mehr und auch der geliebte Ehepartner ist unter Umständen nicht mehr.

Es stimmt, dass das oft Einsamkeit zur Folge hat und dazu führt, dass diese Gruppe nur noch selten das Haus verlässt und einen – sagen wir – sehr geregelten Alltag erlebt. Aber das ist nur ein Aspekt dieses Lebensabschnitts.

Der Artikel hat mich auch deshalb sehr betroffen, da ich sowohl von meiner Mutter als auch meiner Großmutter erzogen wurde. Meine Großmutter war eine sehr starke unabhängige Frau, die immer der Mittelpunkt unserer Familie war, vor zwei Jahren ist sie gestorben. Sie hat mich sehr nachhaltig geprägt.

Über meine Oma

In der Zwischenkriegszeit ging sie als 18jähriges Mädchen für zwei Jahre ins Ausland und verdiente sic h dort ihr erstes Geld. Die Neugierde packte sie und sie wollte die Welt für sich entdecken. Obwohl sie aus bescheidenen Verhältnissen kam, ließ sie sich von ihrem Ziel nicht abbringen. Wie viele ihrer Generation war sie vom Naziregime geprägt und in unsere Familie gab es einige Konflikte, da es sowohl Opfer als auch Täter gab. Später heiratete sie und gründete eine Familie. Nach ihrer Scheidung begann sie wieder zu arbeiten und zog drei Kinder alleine groß. Kurz nachdem sie in Pension ging, kam dann ich auf die Welt und sie zögerte keinen Moment und half meiner Mutter bei meiner Erziehung.

Meine Oma war für mich wie eine zweite Mutter. Sie war wie wahrscheinlich jede Großmutter „die beste Köchin der Welt“, wusste wunderbare Märchen zu erzählen und war immer eine gute Zuhörerin. Sie backte Marmorgugelhupf und Vanillekipferln und war die Hüterin aller Familientraditionen. Sie fuhr mit uns auf Urlaub, verbrachte mit uns Weihnachten und ging mit uns wandern.

Als sie Mitte 60ig war, entschloss sie sich in einem Seniorenheim anzumelden, weil sie meinte, dass es wichtig ist vorzudenken. Ihr war bewusst, dass sie sich nur an ein neues Umfeld gewöhnen könnte, solange sie noch agil ist. Kurze Zeit später bezog sie dort eine kleine Wohnung, pflegte ihre Sozialkontakte weiter und machte die eine oder andere Reise. Wir gingen immer wieder ins Kaffeehaus, spazieren, spielten Karten oder wanderten.

Meine Oma sprach schon sehr früh mit mir über den Tod und das Älter werden. Ich wusste, dass sie nicht für immer unter uns bleiben würde. Lange Zeit bemerkte ich gar nicht, dass sie älter wurde. Aber irgendwann, ging es ihr gesundheitlich nicht mehr so gut, sie konnte nicht mehr auf Reisen gehen und sie verließ immer seltener das Haus. Sie benötigte eine Gehhilfe und war unglücklich darüber, dass man ihre Gebrechlichkeit sah. Aufgrund der fortschreitenden Osteoporose saß sie dann im Rollstuhl. Sie machte noch regelmäßige Übungen, damit die Muskulatur nicht zu stark abbaute, aber ihre körperlichen Beeinträchtigungen änderten vieles. Sie war nicht mehr unabhängig und konnte nicht mehr alles selbst machen. Meine Mutter und ihre Geschwister umsorgten sie ab diesem Zeitpunkt sehr intensiv. Aber meine Großmutter entwickelte Strategien um damit leben zu lernen. Sie durchforstete z.B. akribisch die Angebote und schickte ihre Kinder in den Supermarkt, um ihr das gewünschte zu bringen. Das war ihre Art um nicht den Anschluss an die Außenwelt zu verlieren.

Wenn ich sie besuchte, dann erzählte ich ihr aus meinem Leben und sie aus dem ihren. Wir diskutierten viel über Politik und Integration. Sie war sehr offen und neugierig. Sie bereicherte uns mit ihrer Lebenserfahrung und ließ uns an ihren Erinnerungen Teil haben.

Fazit

Wenn ich eines gelernt habe dann ist es, dass es nichts Wichtigeres gibt als sich die Schätze aus dem Leben seiner Großmutter erzählen zu lassen, denn auch wenn es sehr schmerzlich ist, ist es ein Gut das sonst verloren geht. Für hochbetagte Menschen gibt es nichts Wichtigeres als sie am Leben teilhaben zu lassen und ihnen ein Stück aus der „Welt da draußen“ mitzubringen. Oft ist das Wissen, dass ein geliebter Mensch einen bald verlassen wird, der Grund warum man sich von ihm abwendet, aus Schmerz und Angst. Umgekehrt sind unsere Großeltern eine Bereicherung für uns, denn wir können aus ihrer Lebenserfahrung lernen. In vielen Familien ist die Beziehung zu den Großeltern überschattet von den meist nicht aufgearbeiteten Konflikten, die aus dem Zweiten Weltkrieg wurzeln. Schweigen ist in diesem Falle nicht Gold sonder Gift, Aufarbeitung ist ein Weg um damit umgehen zu lernen. Meine Großmutter war diesbezüglich sehr offen und sie hat mir viel aus dieser Zeit erzählt, auch wenn es ihr nicht immer leicht gefallen ist. Ich bin ihr sehr dankbar dafür.

Ein Kommentar von Cornelia Dlabaja

1 Kommentar

  1. Christoph

    2. April 2012

    Sehr schöne Geschichte!
    Vielen Dank!

    Reply

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt