22. März 2011

Dreizehn Stunden in der Lugner City

Wiener Einkaufszentrum

Dubiose Einkaufszentren gibt es in Wien ja einige: das Donauzentrum, das Simmeringer EKZ, die Gasometer, aber keine andere Mall ist ähnlich legendär, hat einen derartigen Kult-Faktor und versprüht derart viel mysteriös-fremdländischen Charme wie die Lugner City.

Ob das nun am skurrilen Besitzer und Namensgeber Ingenieur Richard „Mörtel“ Lugner selbst, an der geographischen Lage in der Stadt oder an der Auswahl der Geschäfte und dem zugehörigen Klientel liegen mag weiß ich nicht, aber Fakt ist: die Lugner City ist eine Legende, Bizarro-Welt und Paralleluniversum. Deshalb bin ich auch schon ziemlich aufgeregt als ich mich fast pünktlich um neun Uhr früh vor der großen grauen Drehtüre an der Ecke Gürtel/Gablenzgasse einfinde.

 

09:00 Uhr – Noch ist nicht viel los in der „Lugna“

Ich bahne mir den Weg durch die niedrigen Gänge, zwischen Handyshops und Wettcafés, vorbei an Nagelstudio Natascha und dem Trend Hair Frisör, und sehe eifrige Mitarbeiter der Bekleidungsgeschäfte noch schnell die letzten Schaufensterpuppen vor die Türe stellen. Am „Hauptplatz“ wird gerade langsam die Kinder-Hüpfburg aufgepumpt, ein imposantes Schauspiel. Gleich vis à vis davon befindet sich die berühmt-berüchtigte Showbühne – Stars wie Paris Hilton, Nicolette Sheridan und Menowin Fröhlich mussten sich auf dem kleinen, lächerlich anmutenden, grünen Metallpodest schon der jubelnden Menge präsentieren lassen. Heute ist von den Massen keine Spur, nur ein paar Einkäufer und Einkäuferinnen tummeln sich im daneben liegenden Merkur Markt. Ein großes Transparent kündigt die nächste Autogrammstunde an: Luttenberger*Klug geben sich und Herrn Lugner demnächst die Ehre, die Show muss schließlich weitergehen.

 

11:00 Uhr – Frühstück in der Lugner City

Ich beschließe, einen Kaffee trinken zu gehen und zu frühstücken. Schon hundert Meter vor der Gastro-Sektion steigen mir die ersten Gerüche in die Nase – Schnitzel, Kebab, Chinesisch und Indisch vermischen sich schon frühmorgendlich zu etwas Undefinierbarem. Dort angekommen, begebe ich mich auf Beobachtungsposten: langsam kommt Leben in die Lugner, immer mehr Menschen strömen in die Cafés und Shops; die sich langsam drehenden Kebabspieße sind dabei irgendwie ein beruhigender Anblick. Die Zeit bis Mittag vergeht relativ schnell, ich bin noch motiviert: der erste ausgiebige Shoppingtrip steht an. Media Markt, Humanic, die Tierhandlung bieten genug Stoff zum Zeitvertreib, die einzigen Bekleidungsgeschäfte die mir etwas sagen sind H&M, C&A und S.Oliver – der Rest ist mir Unbekannt. Syndikat Gold, Secret Style und Colloseum beziehen ihre Produkte offenbar alle vom gleichen Großhändler: fast ausschließlich grelles Pink und viel Gold blinkt mir entgegen, meine Augen schmerzen, Young Diamonds und Bijoux Brigitte geben mir den Rest. Zur optischen Überreizung gesellt sich noch die akustische: jeder Laden beschallt seine potenziellen Kunden mit Musik, von allen Seiten kommen RnB, House und Discohits aus den Lautsprechern und vermischen sich wie die verschiedenen Gerüche aus der Gastro-Sektion mit den Baugeräuschen aus leerstehenden Geschäftseinheiten zu reinem Lärm. Ich muss hier weg.

 

15:00 Uhr – Das erste Bier

Sechs Stunden Lugner City – Zeit für das erste Bier. Ein Beisl im obersten Stock – mit einer rauchenden Karikatur Lugners als Rauchersalon ausgeschildert – ist das Lokal meiner Wahl, eine Oase der Ruhe. Ich trinke und die Zeit vergeht, beim rausgehen fällt mir auf, dass im Raucherbereich die Luft um einiges besser ist als in den Gängen der Mall: die Gerüche sind wieder da und ich bekomme Hunger. Nach anderthalb Stunden Running Sushi im Okiru und einem weiteren Shoppingbummel weiß ich nicht mehr, wie ich mir die Zeit vertreiben soll. Ich war in jedem Geschäft mindestens zweimal, ich sehe den Friseusen durch Schaufenster beim Haare schneiden zu und irre ziellos umher, ich überlege sogar, aus reiner Langeweile einen neuen Handyvertrag abzuschließen, kaufe aber stattdessen Schuhe und Socken. Ich bin dem Wahnsinn nahe, so weit, dass ich schon statt „Ausgang Gürtel“ den „Ausgang Mörtel“ erblicke. Den Maestro selbst erblicke ich allerdings nirgends, leider. Am Weg zu den Toiletten entdecke ich das inoffizielle, private Stiegenhaus, wo sich einige Mitarbeiter und ortskundige Besucher eine Rauchpause gönnen, hier ist es beinahe still.

 

19:00 Uhr – Entertainment

Ich komme wieder an den Hauptplatz, nur diesmal sehe ich ihn von der Galerie zwei Stöcke höher. An den Geländern rundherum stehen zahlreiche Jugendliche aufgereiht wie Spatzen auf Stromleitungen, alle mit den gleichen bunten T-Shirts, den gleichen gegelten Vokuhilas und dem gleichen Energy Drink in der Hand, und schauen den Kindern im Untergeschoß in der Hüpfburg zu. Um 20:00 wird die Hüpfburg abgebaut, die Karawane zieht weiter zum Kino und Entertainment-Bereich, wo zahlreiche Spielautomaten untergebracht sind. Hier ist jetzt eindeutig am meisten los, jung und alt strömen zu den Kinokassen und an die Automaten, das hektische Treiben wirkt beinah bedrohlich, langsam werde ich paranoid und bekomme klaustrophobische Zustände. Elf Stunden “Lugna” hinterlässt Spuren, das billige Parfum der jungen Mädchen und Burschen benebelt meine Sinne. Durch die Fenster sieht man den Gürtel, die Welt draußen scheint irgendwie trist und grau im Gegensatz zur bunten und lauten Kirmeshölle Lugner City. Beinah post-apokalyptisch ist die Stimmung, als wäre das Einkaufszentrum der letzte Außenposten menschlicher Zivilisation und das Spektakel in dessen Inneren ein manischer Totentanz. Jugendliche drängen sich an Videospiel-Bildschirme, zwei mollige Mädels in Jogginghosen versuchen Billig-Uhren aus einem Greifzangenautomaten zu ziehen. Zum Zeitvertreib spiele ich selbst ein paar Runden, gewinne natürlich nichts. Ich kaufe mir eine Karte für Tron 3D obwohl ich überhaupt keine Lust darauf habe – ein Kuschelsitz für eine Person bitte. Noch eine Stunde bis zum Film, noch Zeit für ein Getränk. Ein Stock über dem Kino öffnet gerade die Cocktailbar Mai Kai die Karaoke-Bühne, eine junge Dame singt – ungelogen! – gerade ziemlich falsch „Wind of Change“. Ich muss wieder gehen. Endlich, ich setze mich in den Kinosaal, die visuellen Effekte von Tron 3D sind beinah eine Wohltat gegen die grellbunten Stimuli in Lugners Einkaufszentrum. Trotzdem gehe ich nach einer halben Stunde – ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende. Dreizehn Stunden Lugner City – und auch wenn ich es fast nicht mehr für möglich gehalten habe – es gibt noch Leben außerhalb!

Raphael Maria Dillhof

18 Kommentare

  1. Mitleid

    9. Februar 2011

    ihr mutet euren Redakteuren Dinge zu
    ist ja schlimmer als Dschungelcamp. Wie überlebt man das? Gehts oder fällt euer Redakteurjetzt daurhaft aus und singt nur mehr manisch "I bin da Lugna ole ole"

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  2. Dein Enkel

    9. Februar 2011

    Was für ein Erlebnis
    Davon kannst du einmal deinen Enkelkindern berichten. Was war am schlimmsten, bzw. was am besten?

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  3. Joe

    9. Februar 2011

    großartig
    danke für das tolle "universum – lugner city" .
    diese eindrücke mal alle festzuhalten war wirklich notwendig.

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  4. Razorblade

    9. Februar 2011

    Aber wo war der Lugner?
    13 Stunden ohne Sichtung. Hat der am Ende selber die Schnauze voll von seiner City?

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  5. unpackbar

    9. Februar 2011

    ich geh da maximal im Eilschritt durch
    13 Stunden aufenthalt grenzt an Folter. In vielen Ländern wäre das verboten.
    Gibt es eigentlich die Aschenbecher im EZ noch, oder wurden die verräumt?

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  6. rmd

    9. Februar 2011

    danke!
    mein therapeut meint ich kann vielleicht bald wieder unter menschen. ich danke für die kommentare…

    die lugna ist übrigens bis auf die rauchersalons strikt non-smoking-area.

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  7. Lugna

    9. Februar 2011

    Wahnsinn!
    Dass du das geschafft hast. 13 Stunden! Hut ab! Was ist dein nächstes Projekt? Eine Woche Donaulinsel 😉

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  8. Razorblade

    9. Februar 2011

    @Lugna
    ich tippe ja eher auf einen Tagesausflug ins Solarium, ein Tag an der Copa Kagrana, eine Nacht im Stadl, Besuch bei allen Würstlern auf der Favoritner Hauptstraße, ein Abend in der VIP Area im Praterdome, eine Woche Springbreak Europa oder so etwas.

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  9. enne

    9. Februar 2011

    ..
    hahaha win! gut gemacht.

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  10. Lugnafan

    9. Februar 2011

    Ist sehr witzig
    aber eigentlich mag ich die Lugna. Ist immer sehr witzig dort, weil so viel passiert und ständig was los ist. Außerdem kann man sehr lecker essen dort.

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  11. kritiker

    11. Februar 2011

    na bumm
    darf man hier eigentlich auch kritisch sein? Also ehrlich gesagt kann ich den Sinn in dem Artikel nicht erkennen. Schon mal darüber nachgedacht das es auch Leute gibt die dort 40h arbeiten müssen? Irgendwie kommts mir etwas schäbig vor das ein junger Student aus (Annahme) gutem Haus nicht in der Lage ist etwas wichtigeres, vielleicht sozialkritisches zu verfassen und sich 13 Stunden fast als eine Art Safari zur Belustigung unters "gemeine Pöbel" mischt. Und dann noch davon reden wie schrecklich es war… Mir graust etwas. Boboism par excellance.

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  12. Mariella

    11. Februar 2011

    @Kritiker
    Ich finde du hast recht. Sich über einen sozialen Brennpunkt so lustig zu machen ist nicht die feine Art.

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  13. Charles

    11. Februar 2011

    @Kritiker
    Ich hab das anders interpretiert. Die Lugnercity ist eben die Hölle. Über die Menschen die hier tagtäglich sein müssen, wird sich nicht lustig gemacht. Zumindest habe ich den Artikel nicht so interpretiert. Die Lugnercity wird halt als der Unort präsentiert, die sie auch tatsächlich ist.

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  14. Datsh

    11. Februar 2011

    Kritiker
    Ich fand den Artikel auch nicht so gut. Er ist weder interessant, noch lustig und entspricht kaum der Wahrheit. So schlimm ist es dadrinnen wirklich nicht. Schon mal beim Hofer um 17 Uhr gewesen? Das ist Horror. Der reine Einkaufswagen Krieg.

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  15. Martin

    11. Februar 2011

    Kritik
    Also ich finde auch, dass der Ort "Lugner City" beschrieben wird und nicht sosehr die Leute dort. Ausserdem ist dieser Artikel wirklich harmlos.

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  16. raphael

    11. Februar 2011

    @kritik
    der Artikel ist, was es ist: eine reine Bestandsaufnahme – weder als "Kritik" noch als Belustigung für mich oder sonstjemanden gedacht, sondern als ein reines beobachten, eine Beschreibung der Veränderungen die ein – für mich – sehr interessanter Ort im laufe des Tages durchmacht – und dass 13 Stunden Einkaufszentrum anstrengend sind wird hoffentlich niemand bestreiten. Ich bin übrigens Arbeiterkind aus Favoriten, da über meine Herkunft spekuliert wurde.

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  17. cs

    31. März 2011

    also…
    ich hab ein paar tage in der lugner gearbeitet (promotion) und lustig wars (die ca.60jährige frau die sich weigert joghurtschokolade zu essen "na, des erinnert mich immer so an sperma") aber nicht immer (kinder die aus dem 2.stock auf uns runter spucken). die verkäuferInnen, die ich getroffen hab sind unglaublich nett und haben sich einen schmäh bewahrt von dem sich so mancher "bobo" was abschauen kann. trotzdem: ich kann den autor verstehen, es ist nicht lustig mit so einer konstanten reizüberflutung umzugehen.
    ich hab den artikel weniger als ein lustigmachen über den pöbel empfunden, als andere hier.
    aber: wie wärs mal mit einem kritischen 13 stunden naschmarkt/uni/mq bericht? da würd mir genauso einiges einfallen…

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  18. imho1980

    5. September 2012

    Witziger Artikel
    obwohl der Autor manche Dinge teilweise schon etwas theatralisch schildert … ich meine, dass in einer Karaoke-Bar falsch gesungen wird, ist ja nun wahrlich nicht gerade die sensationellste Neuigkeit. Aber insgesamt eine amüsante Geschichte.

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