28. Mai 2010

Die Photobox des Grauens

Wer noch immer zu viele analoge und zu wenig digitale Bewunderer hat kann dies auf dailybooth.com ändern.

Was macht man, wenn man furchtbar viel Zeit, aber absolut nichts zu tun hat? Vielleicht die Wohnung aufräumen, endlich mal wieder Staubsaugen, die Pizzareste der letzten WG-Party aus dem Kühlschrank entfernen, Seminararbeiten vom letzten Semester (nein, nicht vom vergangenen) fertig stellen?! Eh klar…

Natürlich photographiert man sich einfach bei jedwedem Blödsinn zu jeder erdenklichen Zeit selbst, möglichst täglich, um seine Umwelt mit seiner Nichtigkeit zu terrorisieren. Das ist DailyBooth.com. 
So kommen Bildunterschriften wie die einer jungen Dame in Blond zu Stande: „Ich habe heute meine Haare geglättet. Es dauerte länger als ich gedacht habe. Kein Wunder, dass ich es nie mache.“ Und wer glaubt, darauf gibt’s nichts zu sagen als „Woher ihr auch seid, ich hoffe ihr kommt in Frieden“, der kennt ihre dunkelhaarige Cyberspace-Freundin noch nicht, die mit einem Bild von sich und „Ich hasse es auch meine Haare zu glätten“ antwortet. 
DANKE, gut zu wissen.

Wer mit Facebook, MySpace und Co. also schon durch ist, kann hier ein neues Werkzeug der notwendigen Selbstentäußerung versuchen: Narzissmus 2.0.
Zu jedem Photo gibt’s natürlich auch eine schöne caption, weil man ja nicht nur einfach so in die Kamera grinst, schmollt, zwinkert oder erbricht, sondern das ja immer eine originelle und unvergleichliche Botschaft hat. Daily halt.

DailyBooth.com gibt es dazu seit Februar 2009. Ins Leben gerufen wurde die Community von Jon Wheatly und Ryan Amos. Ihren Erfolg verdankt sie größtenteils der Popularisierung durch Youtube wo Photostrecken veröffentlicht wurden. Als zumindest noch witziges Feature mag die Tradition des „Naked Friday“ (in Anlehnung an den Casual Friday) gesehen werden, an dem User sich nackt, aber in einem unverfänglichen Winkel zur Kamera präsentieren.

Dabei ist die Idee sich jeden Tag zu photographieren und die Öffentlichkeit daran teilhaben zu lassen nicht besonders neu. Bereits seit 1991 photographiert sich der US-Amerikaner Dan Hanna täglich mit einer speziellen Kreiselkonstruktion, um uns einen 360 Grad Anblick seines Hauptes gewähren zu können.

Das vielleicht bekannteste Selbst-Photographie-Projekt ist jenes von Noah Kalina. Der New Yorker Photograph hält sich seit 11. Januar 2000 täglich bildlich fest und fertigte aus den gesammelten Werken das Video „Everyday“ an, das sich seit Anfang August 2006 wie ein Virus im Internet verbreitet hat. Im Zeitraffer kämpft es sich durch sechs Jahre Noah. Mal mit kurzen, mal mit längeren Haaren, mal bärtig und mal glatt, mal elegant und mal casual, vor verschiedenen Hintergründen, dabei aber immer stoisch in die Kamera glubschend.
Das brachte ihm neben dem internationalen Ruhm von über 14 Millionen views auf youtube sogar eine Parodie in den Simpsons ein.

Etwas mehr Verve haben da die Photos von Jason Fletcher, der sich seit 2003 täglich selbst abschießt. Mit verschiedenen Gesichtsausdrücken, Flasche im Mund, Kappe am Kopf, Brille im Gesicht und recht skurrilen Bärten versucht er sich jeden Tag etwas anders zu geben. Ein großes Vorhaben, soll das Projekt laut eigenen Angaben doch bis zu seinem Tod dauern.

Die Originalität ist also auf jeden Fall mal weg, der Nervfaktor bleibt. Nicht alles ist so spannend, als dass man es dem Kosmos mitteilen muss, manches sollte man getrost dem Orkus anvertrauen. 
Auch eine Tour de Force mittendurch macht ein durchschnittliches Leben nicht spannender für andere und wer es trotzdem nicht lassen kann, seine Freunde mit seinem Anblick zu nerven, kann sie ja immer noch täglich besuchen – analog.

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