6. Februar 2012

Der große Bioschmäh

Wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen

Tausende Hühner, eingepfercht in tageslichtlose Lege- oder Mast-Ställe, prekärste Arbeitsbedingungen bei Saisonarbeitern auf Feldmaschinen im Gemüseanbau, Zutaten aus aller Herren Länder bei Joghurt und Säften. Konventionelle Lebensmittelindustrie? Nein – genau so geht es in den großen österreichischen Bio-Betrieben zu.
„Ja! Natürlich“, „Zurück zum Ursprung“ oder „Natur*pur“, Bio heißt eben nur „biologisch“ und nicht etwa „fair“, „nachhaltig“, „artgerecht“ oder gar „menschlich“ – auch in der Bio-Branche geht es nur ums Geschäft. Der Agrarwissenschaftler Clemens G. Arvay hat nun ein vielbeachtetes Buch zum Thema veröffentlicht, welches die Diskussion um zu lasche Gesetzesgrundlagen und falsche, romantisierte Vorstellungen der Konsumenten und Konsumentinnen neu entfacht.
Eigentlich stellt man sich als Konsument unter „Bio“ ja etwas Anderes als die eingangs beschriebenen Bedingungen vor: etwa glückliche Hühner in natürlicher Nesthaltung, Rinder, die wirklich noch auf die Alm getrieben werden, Obst, das nicht aus dem Glashaus stammt, sondern noch per Hand im Garten gepflückt wird. „Bio“, das ist nicht nur gesünder für den Menschen, sondern auch noch gut für die Umwelt – all das suggeriert schließlich die Werbung der großen Lebensmittelkonzerne, deren Bilder vom ursprünglichen Idyll unsere Idee von „biologisch“ bestimmen. Zugegeben, dass das Bio-Brot nicht aus Omas Backofen, sondern ebenfalls vom Fließband kommt, dürfte zwar eigentlich allen klar sein, wie wenig der Bio-Massenbetrieb allerdings wirklich mit den ursprünglichen Idee von ökologischer Landwirtschaft gemeinsam hat, und wie nahe „Bio“ an konventioneller Produktion liegt, dürfte doch einige überraschen.

Richtlinien-Dschungel

Richtlinien für Bio-Landwirtschaft und entsprechende Kontrollen gibt es natürlich, und zig verschiedene Labels und Abzeichen garantieren dem Konsumenten deren Einhaltung – doch erlaubt ist trotzdem fast alles: Schwammige Formulierungen und zu laxe Kriterien erlauben es beispielsweise, dass Bio-Rinder oft gemeinsam mit konventionellen in LKWs transportiert werden, auch im Bio-Ei oder Mast-Betrieb männliche Küken vergast werden, oder aus ein- und demselben Back-Betrieb sowohl Bio-, als auch konventionelle Produkte stammen – der einzige Unterschied liegt etwa in den Zutaten der Fertigmischungen. Denn, um das Bio-Logo zu bekommen, reicht es meist schon aus, auf Gentechnik und synthetische Spritzmittel zu verzichten – von Regionalität, sozialer Fairness oder gar tatsächlicher, nachhaltiger ökologischer Landwirtschaft ist da keine Rede. Und freiwillig setzen die Konzerne natürlich kein Zeichen für die Umwelt, der Bio-Massenbetrieb für Billa, Spar und Hofer funktioniert eben nur über Quantität und Preisdumping.

Bio reicht nicht

Wer trägt daran die Schuld? In erster Linie natürlich Konzerne, die durch ihre (finanziellen) Interessen die „Bio-Landwirtschaft“ und deren Gesetze mitgestalten, aber natürlich auch der Konsument: Gemüse zum Beispiel soll bitte möglichst gerade gewachsen und nicht etwa mit einer Schicht Dreck bedeckt sein, und der Preis muss natürlich auch stimmen – trotzdem soll für das Gewissen aber „Bio“ draufstehen. Nur: „Bio“ reicht eben nicht. Ökologisch, naturbelassen, regional, nachhaltig, fair – das ist laut Clemens G. Arvay nur der Nischenmarkt. Klein- und Mittelbetriebe, deren Produkte man eben nicht in den großen Supermärkten findet, sowie Hof- und Reformläden sind für ihn langfristig der Ausweg aus der Bio-Falle. Auch wenn es natürlich anstrengender und teurer ist: Wenn man etwas verändern will, muss man investieren, jeder Euro, den man ausgibt, ist ein Stimmzettel.
Ein Buch, das sich nicht gegen die Bio-Idee, sondern gegen ihre für Arvay oft mangelhafte Umsetzung richtet – gegen Konzerne, die diese Idee aushöhlen, und gegen Konsumenten, die sich oft zu leicht von Logos und Labels einlullen lassen. Wirklich viel Neues erfährt man zwar nicht, und ob das Konzept „Hofladen” wirklich der Ausweg für eine fairere Welt für uns alle ist, bleibt ebenfalls dahingestellt – die umfassend recherchierte Zusammenstellung und pointierte und kampflustige Präsentation werden allerdings noch für reichlich Gesprächsstoff sorgen. Wäre bloß noch zu hoffen, dass der durch dieses Buch verunsicherte Konsument dann nicht komplett auf Bio verzichet – denn wesentlich besser als konventionelle Produktion ist auch das halbherzige Industrie-Bio allemal. (rmd)

Der große Bioschmäh
Wie uns die Lebensmittelkonzerne an der Nase herumführen
Clemens G. Arvay
Ueberreuter-Verlag

5 Kommentare

  1. gnomi

    6. Februar 2012

    …gähn
    und weiter? weiß doch eh jeder, dass die werbung lügt, oder?

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  2. Charles

    6. Februar 2012

    Wenn das jeder wüsste
    und dann auch umsetzen würde, würde Werbung nicht wirken. Werbung wirkt aber.

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  3. Vien

    7. Februar 2012

    Zurück zum Ursprung?
    [Nur: "Bio" reicht eben nicht. Ökologisch, naturbelassen, regional, nachhaltig, fair – das ist laut Clemens G. Arvay nur der Nischenmarkt.]
    Genau das garantiert Zurück zum Ursprung ("Bio, das weitergeht"..).
    Nun wird Hofer im Artikel aber auch Heuchelei vorgeworfen. Bei Ja, natürlich und Co war mir das bewusst, aber bisher dachte ich mit ZZU auf die richtige Karte zu setzen..
    Bitte um Aufklärung.

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  4. Reader

    9. Februar 2012

    Achtung: Alles das Gleiche!
    @Vien: Bei allen genannten Marken kauft Du meistens die selben Produkte. Sogar von den gleichen Herstellern. Ist doch nur ein riesen Schmäh, wenn die Marken so tun, als würden sie sich so voneinander abheben. Leider wirkt die Werbung halt doch. Hab das Buch gelesen. Das ist alles super erklärt da drinnen.

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  5. fox-didl

    13. Februar 2012

    Das Buch gibts zu gewinnen
    auf http://www.pronatur24.eu. Grad gesehen.

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