3. Januar 2011

Dekadenwechsel

Zehn Jahre, die die Welt veränderten, so lässt sich diese Dekade wie eigentlich jede vor ihr zusammenfassen. Dass in zehn Jahren eine Menge passiert, ist ja an sich klar, trotzdem will ich versuchen, einige Konfliktlinien der letzten Jahre herauszuarbeiten, um dann einige gewagte Prognosen für die kommenden 10er Jahre abzugeben.

Die Nuller Jahre

Dekaden haben ihre einschneidenden Momente. Der Moment des Beginns für die weltgeschichtliche Phase in der wir uns gerade befinden, war der 11. September 2001. Ob diese Phase mit dem formalen Jahrzehntwechsel zu Ende geht, weiter andauert oder überhaupt mit der Weltwirtschaftskrise von 2008 bereits eine neue Ära eingeläutet wurde, werden zukünftige geschichtswissenschaftliche Kontroversen klären müssen.

Klar ist aber jedenfalls, dass der 11. September 2001 die Welt in den Bann schlug, wie nur wenige Ereignisse im vorhergehenden 20. Jahrhundert. ZeitzeuugInnen können in aller Regel angeben, was sie zum Zeitpunkt des Einschlags der Flugzeuge taten, so wie es beim Fall der Berliner Mauer, Kennedys Ermordung oder der Landung am Mond war.

In Folge gab es zwei Kriege, die, nach Anfangserfolgen, in quälenden Guerillakriegen versandeten. Bezeichnend ist, dass am Ende der Dekade im Grunde keiner der zwei Kriege beendet ist. Früher oder später werden sich die USA und ihre verbliebenen Verbündeten jedoch vollends aus dem Irak und schließlich aus Afghanistan zurückziehen. Am Ende der Dekade stehen viele Tote in Folge der Kriege, darunter so viele amerikanische Soldaten wie seit dem Vietnam Krieg nicht mehr, und eine Supermacht im Niedergang.

George W. Bush dachte wohl nicht daran, dass er den Niedergang der USA als Supermacht einläutete, als er ankündigte die Terroristen auszuräuchern und Afghanistan, später auch den Irak (wir erinnern uns: Massenvernichtungswaffen) zu „befreien“. Das Misslang gründlich und am Ende der Dekade stehen die USA zwar immer noch als Supermacht da, aber bei weitem nicht mehr so unumstritten wie am Beginn der Dekade. Dass sich am Ende der 10er Jahre die USA neben China, Indien, Russland, Brasilien und wohl auch der Europäische Union in einer multipolareren Welt wieder finden werden, ist keine gewagte Prognose.

Nie wieder Krieg?

Gewagter ist schon diese. Seit Mitte der Nuller Jahre, als man in alle Zeitungen nahezu täglich von Anschlägen, Kämpfen und dem großen Sterben zunächst in Afghanistan, dann im Irak, dann wieder in Afghanistan lesen konnte, ist der Krieg gründlich desavouiert. So gründlich, wie kaum jemals zuvor.

Die hochtrabenden Pläne der Militärs, die am Beginn der Dekade gerade den Kosovo Krieg als scheinbar ersten Krieg ohne nennenswerte eigene Opfer hinter sich gebracht hatten und von zukünftigen „humanitären“ an Polizeieinsätze erinnernden Militäroperationen in aller Herren Länder schwärmten, wie weit weg wirken diese von der heutigen Realität.

So kann man doch am (nahen) Ende zweier weiterer sinnloser Kriege feststellen, dass der Krieg nun wenigstens mittelfristig ein gewaltiges Imageprobelm hat. Keine sich halbwegs bei Sinnen befindende Regierung in einem Industriestaat käme auf die Idee jetzt irgendwo einen Krieg anzuzetteln. Afghanistan und der Irak Krieg haben bewiesen, dass sich mangels Möglichkeiten zu „gewinnen“ der Krieg nicht mehr verkaufen lässt und somit Wahlniederlagen die logische Folge sind. Seit dem Dauerkrieg in Afghanistan wurde es bemerkenswert still um irgendwelche Pläne irgendwo humanitär zu intervenieren. Selbst der Dauerbrenner der amerikanischen Rechten, ein Krieg mit dem Iran, will sich einfach nicht verkaufen lassen.

Sicher, es ist zu früh den Krieg als Mittel der Politik westlicher Demokratien gänzlich abzuschreiben. Für die nähere Zukunft erscheint ein Krieg jedoch eine höchst unwahrscheinliche Option mangels öffentlicher Unterstützung. Das ist trotz allem eine gute Nachricht.

Eine andere Ökonomie?

Am Beginn der Dekade stand das Platzen der Dot.com Bubble im Jahr 2000. Nachdem im klassischen Bubble Überschwang die Menschen begonnen hatten zu glauben, dass ein lustiges Logo, eine hübsche Homepage und eine wage Idee ausreichen, um unsagbaren Reichtum zu erwirtschaften, stellte sich das 2000 als Irrtum heraus. Am Ende der Dekade verfiel man auf ähnliche Gedanken rund um Immobilien, die scheinbar endlos im Wert stiegen, bis das ganze in einer happigen Weltwirtschaftskrise endete.

Das kommende Jahr wird zum Wendepunkt werden. Entweder es setzt eine Erholung ein und man wird um 2015 sagen können, gut ist es gegangen, nichts ist geschehen, oder die Wirtschaftskrise wird doch noch zu Heulen und Zähneklappern führen – auch bei uns. Die Lösungen zumindest für Europa liegen auf dem Tisch. Entweder Europäische Solidarität, eine Umschuldung nie mehr rückzahlbarer Schulden (Griechenland, Irland), eine gemeinsame Wirtschaftspolitik und kräftige Umverteilung. Oder Re-nationalisierung, dauerhafte Krisenphänomene, die sich in weiterer Folge in einem Zerbrechen des Euros, einer weiterhin kriselnden Wirtschaft und Europa als einem Ort, an dem sich die Bevölkerungen der Nationalstaaten wieder so hassen, wie sie es historisch fast immer taten, entladen könnten. Persönlich neige ich zur Überzeugung, dass zu echten Reformen der Wille fehlen wird und uns deshalb lang anhaltende wirtschaftliche Probleme und politische Krisen über die kommenden Jahre begleiten werden.

Eine andere Politik?

Österreichs Politik war in der vergangenen Dekade in einem Deadlock gefangen. Am Anfang der Dekade stand Schwarz-Blau, deren Performance je länger es zurückliegt umso schlechter erscheint. Karl Heinz Grasser steht, neben Jörg Haider und der Hypo Alpe Adria, für eine nie da gewesene Häufung politischer Skandale. Danach kam wieder die große Koalition, die einander wie eh und je nicht grün wurde und wird. Es geht mal wieder nichts weiter in allen großen ideologischen Streitfragen, von Bildungspolitik bis Wirtschaftspolitik gibt, gab und wird es wohl auch weiterhin keinen Konsens zwischen ÖVP und SPÖ geben. Dementsprechend schwach ist die Performance der Regierung, als lachender Dritter darf sich Strache freuen.

Immerhin wurde in Wien Rot-Grün gewagt, was jedenfalls einmal ein Versuch ist eine Mehrheit abseits altbekannter Pfade zu suchen. Ob und wie erfolgreich dieses Projekt wird, gilt es abzuwarten.

2013 wird Strache mindestens Vizekanzler sein und möglicherweise, dann allerdings wohl eher nicht er selbst als Person, Kanzler. Ziemlich sicher wird 2013 und in den folgenden Jahren Blau-Schwarz regieren oder sehr unwahrscheinlich Blau-Rot, wenn sich nichts Grundsätzliches ändert. Das erhöht zumindest die Chancen für Rot-Grün ab 2018, was immerhin den direkten Vergleich ermöglichen würde.

Das ist eine Entwicklung, die sich in ganz Europa und auch den USA abzeichnet. Als Krisengewinner entpuppt sich die neue Europäische Rechte und die Tea Party Bewegung in den USA.

Eine andere Integrationspolitik?

Die Nuller Jahre waren in Österreich eine Zeit permanenter Verschärfungen der Asyl und Fremdenrechtsbestimmungen. Die große Aufregung rund um einige Abschiebefälle am Ende der Nuller Jahre gibt jedoch Hoffnung, dass sich vielleicht langsam ein Paradigmenwechsel ankündigt. Es bleibt abzuwarten ob Wien, wo seit längerem eine andere Integrationspolitik gefahren wird, hier Vorreiter sein kann und ob es gelingen kann, die Einstellung der ÖsterreicherInnen gegenüber MigrantInnen dauerhaft zu verändern. Es gibt zumindest zarte Pflänzchen der Hoffnung in diese Richtung, deren Auswirkungen es abzuwarten gilt.

Eine andere Medienpolitik

Daran werden noch so viele Inserate nichts ändern. Am Ende der kommenden Dekade werden sich die Medien gründlich verändert haben und nur mehr wenig mit ihrer heutigen Erscheinungsform zu tun haben. Printtitel wird es zwar nach wie vor geben, aber noch weniger als bisher. Kein Medium wird mehr die Bedeutung der Kronenzeitung haben, vielmehr wird es einige Printtitel mit weiterhin schrumpfender Auflage ohne ihre heutige Bedeutung geben und dazu eine Häufung an Onlinemedien. Ob sich in den kommenden zehn Jahren ein Geschäftsmodell für Onlinemedien finden wird, wird sich zeigen. Die Faustregel wird aber wohl sein: Wer ein originäres Produkt hat, das auf eine bestimmte Zielgruppe genau fokussiert und dadurch entweder höhere Werbe- oder Bezahlerlöse erzielt, wird überleben, die anderen nicht.

Alte Menschen nicht mehr so alt?

Ältere Menschen tun sich mit den Herausforderungen an die digitale Revolution und den sich verändernde Arbeitsmarkt noch schwerer als Jüngere. Ich bin optimistisch, dass sich das in den kommenden Jahren verbessert. Einerseits, weil immer mehr Ältere in Kontakt mit neuen Medien, sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und einer sich insgesammt wandelnden Gesellschaft kommen. Dadurch werden sie im Alter neue Lebensformen ausprobieren, leichter mit technischen Veränderungen umgehen können als heute und hoffentlich in weniger großem Ausmaß vereinsamen, als dies heute oft der Fall ist. Durch ihre schiere Masse werden sie die Gesellschaft sicherlich so gestalten können, dass sie sich besser an ihre Bedürfnisse anpasst. Gleichzeitig werden sie wohl nicht mehr in dem Ausmaß wie bisher ihren VorgängerInnen vorheriger Generationen folgen und sich mit Pensionsantritt im hohen Ausmaß aus der Gesellschaft zurückziehen. Mit etwas Glück werden ältere Menschen bereits in zehn Jahren deutlich besser als heute in die Gesellschaft integriert sein.

Jüngere Menschen nicht mehr so arm?

Die Jugend Europas hat zunehmend die Schnauze voll davon, dass für sie angeblich außer permanentem Lernen, prekären Jobverhältnisse und unsicheren Lebensentwürfen nichts da sein soll. Da IHRE Altvorderen langsam aber sicher doch abtreten werden und auf Grund der Alterung zunehmend Arbeitskräfte fehlen werden, könnten wir erleben, dass junge Menschen sehr viel leichter als bisher ihr Leben finanziell und beruflich selbst bestreiten können. Ihre Verhandlungsmacht wird sich erhöhen und die Gesellschaft nach den Geburtswehen der digitalen Revolution mit dieser besser als bisher zu Recht kommen.

Die Moslems als Juden des 21.Jahrhunderts?

Seit dem 11. September ist der Islam als globale Bedrohung omnipräsent. Seit vielen Jahren wird von Vordenkern, insbesondere im Umfeld der Neuen europäischen Rechten, am Moslem als Feindbild und Antipode zur europäischen Moderne gearbeitet. Inzwischen haben wir in den Köpfen vieler Menschen ein Bild der Moslems als monolithischer Block armer, ungebildeter, rückständiger AußenseiterInnen, die sich zugleich nahezu weltweit gegen den Westen und seine Errungenschaften verschworen haben. Das Bild vom Moslem in Europa nimmt dabei zunehmend jenen paranoid geisteskranken Charakter an, der dem Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert innewohnte. Zu einem geschlossenen geisteskranken Weltbild fehlt noch einiges, es wird aber höchst an der Zeit hier zu intervenieren, bevor die Dinge eine Eigendynamik erhalten, deren Verlauf und Ergebnis nicht abgeschätzt werden können.

Wikileaks verändert die Welt?

Was mit Facebook begann, setzt sich mit Wikileaks fort. Transparenz und eine völlig veränderte Sicht auf die eigene Privatsphäre und diejenige des Staates, definieren den Diskurs am Beginn der 10er Jahre. Eine Bevölkerung, die zunehmend offener mit ihren eigenen Daten umgeht, zeigt zugleich immer weniger Verständnis für Heimlichtuerei auf staatlicher Ebene. Man kann es mögen oder nicht, aber in den 10er Jahren wird sich unsere Gesellschaft weiter dem Benthamschen Panopticon angleichen. Eine Gesellschaft deren BügerInnen sehr viel transparenter sind als bisher, die diese Transparenz aber auch vom Staat einfordert. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen versteht sich.

Mehr wichtige Themen?

Nachdem seit Jahren Produktneuheiten am Sektor elektronischer Medien den öffentlichen Diskurs verseuchten, als ob es sonst nichts Wichtiges gäbe und jede Neuheit aus dem Hause Apple gefeiert wurde, als wäre eben der Buchdruck erfunden worden, prognostiziere ich einmal, dass wir uns in den 10er Jahren wieder vermehrt mit Wichtigerem beschäftigen werden. Einerseits, weil sich übermäßig gehypte Dinge früher oder später einpendeln, andererseits, weil wir in spannenden Zeiten leben und die Aufmerksamkeit von Unwichtigerem abziehen.

Kein Umweltschutz?

Auch in den 10er Jahren wird es nicht gelingen die Umweltpolitik der Industrienationen nachhaltig zu verändern. Zwar wird es langsame Erfolge geben, die auf Grund der rasanten nachholenden Entwicklung in vielen Entwicklungsländern aber konterkariert werden. In Europa wird sich ein nachhaltiger, umweltbewusster Lebensstil immer mehr durchsetzen und parallel zu einer insgesamt sich dennoch weiterhin fortsetzenden Klimaerwärmung andauern. Untergehen wird die Menschheit dennoch nicht, ungemütliche Folgen wird das Ganze aber haben.

Wien in 10 Jahren

Wien wird noch mehr als bisher zum Zentrum Österreichs werden. Noch mehr Menschen als ohnehin schon der Fall, werden sich im Speckgürtel um Wien Häuschen bauen und damit Umwelt, wie auch Infrastrukturkosten von Stadt und Bund dauerhaft belasten. Wien selbst wird auch weiterhin kräftig wachsen. Mit etwas Glück werden Integration und Mobilität besser organisiert werden als bisher. Letztlich hängt aber viel von der Performance Rot-Grüns ab. Strache kann nämlich ansonsten nicht nur Bundeskanzler, sondern auch Bürgermeister von Wien werden.

Festzuhalten bleibt, dass alle Prognosen nur ein Lesen im Kaffeesud sind. Am Ende der Dekade wird ohnehin vieles anders kommen. Allerdings wäre eine rasche Veränderung in vielen Bereichen sehr wünschenswert und würde uns viel Schmerz, Kummer und Gram ersparen. Mal schauen, ob wir uns 2011-2020 für eine beherztere, zukunftsorientiertere Politik entscheiden als bisher.

Daniel Steinlechner

Mit Fug und Recht: Über Sinn und Unsinn

1 Kommentar

  1. Malena

    4. Januar 2011

    Ich glaubs nicht
    Strache wird nicht bundeskanzler und über das ipad2 wird die welt reden

    Reply

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