10. November 2010

Das darf man ja wohl noch sagen…

Der türkische Botschafter Kadri Ecvet Tezcan hat in einem Interview mit der Presse die österreichische Integrationspolitik kritisiert, abgeschoben wird er vermutlich trotzdem nicht.

Wir kennen das ja, manch einer der gerne laut schreit – vermutlich muss er so laut schreien, weil er sich sonst selbst nicht glauben kann – hat es immer schon gewusst: „Wem es hier nicht gefällt, der soll halt wo anders hingehen“, meint er, wenn er, was er selten tut, versucht, höflich zu formulieren.

Sicher, anderswo ist es auch schön, aber schon allein das stadtbekannte Wiener Sudern und das österreichische Raunzen würden dazu führen, dass sich Stadt und Land schneller leeren, als es manch einem lieb wäre. Außerdem wäre es dann anderswo auch noch schön? Ganz sicher kann man sich da ja nicht sein…

Aber so ist das ohnehin nicht gemeint. Wo anders hingehen sollen andere, gemeint sind „die“ Ausländer. Eine recht große Gruppe, die theoretisch jede/n umfasst, der mal zugewandert ist, also jeden, praktisch – momentan vor allem diejenigen, denen man es ansieht.

Jetzt kommt da jemand daher, von wo anders, wo es auch schön ist, sogar in offizieller Mission und maßt sich eine Meinung an. Das hat der eine aber gern, das Geimpfte geht ihm da auf, bildlich gesprochen.

Meinungen, die aufregen:

Der Jemand ist der türkische Botschafter, der sich ganz undiplomatisch in einem Presse Interview kein Blatt vor den Mund genommen hat. Dabei hat er viel Kluges gesagt, zuviel, um es hier zur Gänze wiederzugeben, aber auf der Presse Homepage lässt sich das Interview ohnehin nachlesen. Manches nicht zur Gänze differenziert Durchdachte hat er auch gesagt, aber eine Zornesrede legt eben eine Position dar und keinen Masterplan zur Integration in Österreich.

Unter anderem sprach er von Österreichern, die sich außer im Urlaub nicht für fremde Kulturen interessieren, von Sozialdemokraten, die nicht die Rechte von Menschen unabhängig von ihrer Herkunft verteidigen, sondern Angst hätten, damit Strache nur noch mehr Stimmen zukommen zu lassen, von einer Innenministerin, die Dinge umsetzt, die keiner liberalen, offenen Geisteshaltung entsprächen, von einer Ghettobildung in Wien, die keineswegs nur auf die türkische Community zurückzuführen sei, und noch von vielem mehr.

Er zeichnete ein Sittenbild der österreichischen Integrationspolitik, die in Österreich immer noch als Sicherheitsagenda aufgefasst werde und kritisierte den weit verbreiteten Rassismus und Antiislamismus sowie den mangelnden Mut vieler, dem offen entgegen zu treten.

Außerdem setzte er sich dafür ein, türkische LehrerInnen ins Land zu holen, um türkischstämmigen Kindern an den Schulen die türkische Sprache nahe zu bringen und Türkisch als Maturasprache einzuführen.

Jetzt ist die Aufregung groß. Besonders lustig: die FPÖ, die falls es zu keiner Entschuldigung käme, das Aussetzen der diplomatischen Beziehungen forderte. Nun hat der Botschafter seine Aussagen zwar nicht als Botschafter, sondern als Privatperson getätigt. Aber die türkische Regierung zittert sicher schon vor dieser Drohung, zeigt sich bestimmt ungefähr so beeindruckt wie die deutsche Regierung von österreichischen Forderungen, Ausgleichszahlungen für deutsche Studierende in Österreich zu leisten.

Auch die Regierung zeigte sich empört, aber das war ja zu erwarten. Ziemlich sicher war es auch dem Botschafter klar, sonst hätte er seine Aussagen wohl nicht getätigt, vielmehr wusste er höchstwahrscheinlich um diese Reaktionen und nahm sie in Kauf.

Manch einer wird sich empören und Bestätigungen für Vorurteile finden, die er so dringend benötigt wie der Antisemit das Vorhandensein von Juden für die Fortdauer seines Antisemitismus. Vielleicht sollte man manch einem einmal entgegnen; „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen und wenn es Ihnen nicht passt, dann gehen sie doch wo anders hin, wo man es nicht sagen darf, wo es ihnen besser gefällt.“

Daniel Steinlechner

Mit Fug und Recht: Über Sinn und Unsinn

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