6. September 2015

Casablanca

METRO Kinokulturhaus Kinosaal (c) STADTBEKANNT

Politische Brisanz des Filmklassikers

Vor allem mit falsch zitierten Sätzen wie „Schau mir in die Augen, Kleines“ und „Spiel‘s noch einmal, Sam“ hat sich Casablanca auch ins deutschsprachige Filmgedächtnis eingebrannt. 

Dabei behandelt Casblanca weit mehr als die in den Kriegswirren zerrissene Liebe zweier Flüchtlinge. 73 Jahre nach Erscheinen des Filmklassikers lohnt es sich, die historischen Hintergründe genauer zu betrachten.

Kollaboration im Vichy-Regime

Als 1940 die deutsche Wehrmacht in Paris einmarschierte und den Nordteil Frankreichs besetzte, einigte man sich im Waffenstillstand von Compiègne darauf, im unbesetzten Süden des Landes und den nordafrikanischen Kolonialgebieten Marokko und Algerien eine von den Deutschen abhängige, französische Marionettenregierung zu installieren. Der konservative Weltkriegsveteran Marschall Philippe Pétain wurde Staatsoberhaupt der Pseudo-Republik mit Amtssitz im Kurort Vichy. Unter Pétain istallierte man einen restriktiven Polizeistaat und bekämpfte offen den Widerstand der Résistance. Ja selbst die berühmte Losung der französischen Revolution, Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit, änderte man kurzerhand in Arbeit-Familie-Vaterland, um der neuen Staatsräson Ausdruck zu verleihen. Den Deutschen gegenüber wollte Vichy vor allem auf Zeit spielen und durch Zugeständnisse ein Minimum an französischer Autonomie bewahren. Philippe Pétains Gegenspieler, Oberst Charles de Gaulles, war entschiedener Gegner der Waffenstillstands-Bemühungen. Nach Pétains Machtübernahme ging er nach Großbritannien, um von dort aus die Résistance zu unterstützen und den französischen Exilwiderstand zu organisieren. Unter dem Eindruck dieser Ereignisse entstand der Filmstoff zu Casablanca, der im Kern – konkret in der Figur des undurchsichtigen Polizeichefs Captain Renault – die ambivalente Haltung der Vichy-Kollaborateure zum NS-Staat behandelt.

Spionageschlacht in Nordafrika

Im Film spielt der tschechische Widerstandskämpfer Victor Laszlo eine entscheidende Rolle. Die Szene in Rick‘s Cafe, in der er die Band auffordert die Marseillaise zu spielen, um die singenden deutschen Soldaten zu übertönen, zeigt die Zerissenheit in der sich die Region im Jahr 1942 befand. In Wirklichkeit waren es aber nicht die Tschechen, deren Widerstand die alliierte Landung ermöglichte. Wie eine englisch-polnische Historikerkommission 2005 feststellte, hatten die Polen in Nordafrika ein dichtes Spionagenetz gesponnen. Deren verdeckte Informationstätigkeit stellte sich im Nachhinein als entscheidend für die Landung der Alliierten in der strategisch wichtigen Region heraus. Die polnischen Agenten wandten sich vermehrt an die Briten, da sie von Stalin im Pakt mit Hitler übergangen wurden. Dieser wiederum wandte sich ab 1942 selbst an die Briten und forderte eine zweite Front im Westen, um Druck von der Ostfront zu nehmen.

„Operation Torch“

Im Morgengrauen des 8. November 1942 landeten alliierte Truppen an den Stränden von Casablanca, Oran und Algier. Wider Erwaten stieß man jedoch auf teils heftigen Widerstand der Vichy-Armee, sodass die noch kampfunerprobten Truppen größere Verluste hinnehmen mussten. „Operation Torch“ verlief dennoch erfolgreich und die afrikanischen Vichy-Truppen wechselten auf die Seite der Alliierten. Von Nordafrika aus konnten Briten, Amerikaner und Truppen des „freien Frankreich“ die Invasion Italiens beginnen und den Krieg in Europa vorbereiten. Die Dreharbeiten zu „Casablanca“ waren zu dieser Zeit bereits abgeschlossen. Die Premiere fand am 26. November, also knapp 20 Tage nach „Operation Torch“, im Hollywood-Theater in New York statt. Das im Film besetzte Casablanca war zu dieser Zeit bereits befreit. Der erfolgreichen Landung folgte ab 14. Jänner die sogenannte Casablanca-Konferenz Winston Churchills und US-Präsident Roosevelts. Während an der Ostfront die entscheidende Schlacht um Stalingrad tobte, berieten die West-Alliierten in der Casablanca-Konferenz über die weitere militärische Vorgangsweise. Das so entstandene Medieninteresse nutzten die Macher von Casablanca geschickt um den Film werbewirksam zu promoten, als dieser im Jänner `43 landesweit in die US-Kinos kam.

Film mit Propaganda-Effekt

Der Kriegseintritt der USA nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor ging auch an Hollywood nicht spurlos vorbei. Um die wenig kriegsbegeisterte US-amerikanische Bevölkerung auf einen Krieg gegen Nazi-Deutschland propagandistisch einzuschwören, gründete die US-Regierung 1942 das „United States Office of War Information“. Eine der Aufgaben dieser Behörde war es, den Einfluss der Regierung auf Hollywood auszuweiten und alle verfügbaren Ressourcen für kriegsstrategisch wichtige Produktionen aufzuwenden. Auch Casablanca folgte den Vorgaben der Behörde. Den Propagandazweck erfüllte die Lovestory im Weltkriegs-Setting jedoch ehrlicher und authentischer als so manch andere Produktion die dem Film nachfolgen sollte. Viele der Schauspieler waren Exileuropäer und verkörperten in Casablanca jene Menschen, denen sie gerade noch entkommen waren. So auch der Deutsche Conrad Veidt, der 1933 nach England und anschließend in die USA emigrierte und nun in die Rolle des Nazi-Majors Strasser schlüpfte. Unter den Statisten befanden sich auch einige ausgewanderte Österreicher, wie Helmut Dantine, Ludwig Stössel, oder Ilka Grüning.

„Entschärfte“ Fassungen

Als der Erfolgsfilm 1952 in die deutschen Kinos kam, war zunächst nur eine vollkommen entpolitisierte, um 25 Minuten gekürzte Fassung zu sehen. Über 20 Jahre sollte es dauern, bis Casablanca 1975 in Originalversion im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Doch nicht nur im deutschen Sprachraum verschwieg man die antifaschistische Botschaft der vermeintlichen Liebsschnulze. Für die spanische Version, die noch im Franco-Regime entstand, wurden alle Hinweise auf den spanischen Bürgerkrieg herausgeschnitten, da diese ein positives Licht auf Francos einstige Gegner warfen. Auch die italienische Version wurde geändert, da Rick – die Hauptperson im Film – Äthiopien 1935 im Krieg mit dem faschistischen Italien mit Waffen beliefert haben soll. Nicht zuletzt der zweifelhafte Umgang der vormals faschistischen Länder mit dem Werk zeigt, welche politische Brisanz der größte US-Liebesfilm aller Zeiten in sich birgt. Um einen immer wieder falsch zitierten Satz – der eigentlich aus einer Casablanca Parodie von 1946 stammt – noch weiter zu verfälschen: „Spiel‘s auch zum 73sten, Sam!“

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