5. November 2015

Buchtipp: „Ruhig sitzen mit festen Schuhen“

Die Lyrik hat’s nicht leicht

Gedichte haben keinen leichten Stand in der Buchbranche. Lange wurde man das Gefühl nicht los, dass viel mehr Menschen Lyrik schreiben als lesen. Doch seit einiger Zeit tut sich da was: Lyriker gewinnen wichtige Literaturpreise, zeitgenössische Gedichtbände erfahren mehrere Auflagen und ein Lyrik-Festival nach dem anderen wird gegründet. In dieser hoffnungsvollen Zeit für die Lyrik schickt Maria Seisenbacher ihren neuen Gedichtband in die Welt.

„Ruhig sitzen mit festen Schuhen“

Schon der Titel des bibliophilen Bandes eröffnet den Lesern eine Welt, in der die Dinge wohl etwas anders laufen. Das Gedicht, das die Autorin den insgesamt drei Kapiteln vorangestellt hat, kann als eine Art Motto gelesen werden: „Ich habe die Eine lange an meiner Seite gewusst / alles Vergessene ins Leere gebracht …“
Es folgen achtzig Seiten Lyrik, deren thematischer Bogen die Alzheimer-Krankheit ist. Im ersten Kapitel „EINE“ erzählen die kurzen Gedichte von der Verwandlung der Dinge für eine erkrankte Frau. „Ruhig sitzen mit festen Schuhen“, das beschreibt möglicherweise sowohl ihre neue Lebenssituation als auch ihr Motto. Die Veränderung ihres Lebens, die neue Wahrnehmung von Dingen, die vorher nie in Frage gestellt wurden. Darin eingeschlossen auch ihre Angehörigen, „WENIGE“, die ihr in diese neue Wahrnehmung der Welt folgen. Gemeinsam müssen sie sich nun ununterbrochen mit der Krankheit und den damit einhergehenden Veränderungen auseinandersetzen. Ein letztes Kapitel („MEHR“) beschäftigt sich mit der Krankheit selbst, ohne jedoch mit medizinischen Fachbegriffen um sich zu werfen.
Man könnte jetzt meinen, dass „Ruhig sitzen mit festen Schuhen“ ein düsteres und trauriges oder gar rührseliges Buch ist, das ist es aber nicht.

Wenige Worte, große Bilder

Die Autorin lässt den Lesern viel Raum und Gelegenheit für eigene Interpretationen. Mit dem Thema im Kopf, das ihren Gedichten zugrunde liegt, entsteht während des Lesens immer wieder das Gefühl eines Befremdens vor der Welt, aber auch des Neuentdeckens, der Stille und des Rückzugs in sich selbst, um letztlich das Wesentlichste in sich wiederzufinden: die Zuneigung zu dem einen Menschen, der vor uns sitzt.

Ruhig sitzen mit festen Schuhen
Maria Seisenbacher
Gedichte
80 Seiten
Edition Atelier, € 14,95

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt