Wolfgang Muthspiel im Gespräch
9. Oktober 2011 • Im Gespräch, Musik • 2 Kommentare zu Wolfgang Muthspiel im Gespräch
Wolfgang Muthspiel im Gespräch
"Drumfree“ heißt das aktuelle Projekt des Ausnahmemusikers, Gitarristen und Komponisten Wolfgang Muthspiel – die zweiunddreißigste Albumveröffentlichung seines Labels Material Records. Über dieses Album, aber auch über seine zahllosen anderen Projekte – unter anderem mit Brian Blade oder Rebekka Bakken, seine Philosophie zu Komposition und Musik und seine Lehrtätigkeit in Basel, bat stadtbekannt zum Gespräch.
Wolfgang Muthspiel im Gespräch mit Markus Brandstetter.
Erzähl uns ein wenig über dein aktuelles Projekt „Drumfree“, mit dem du vor kurzem ja im Porgy und Bess gastiert hast.
In Wien hat es zwar gerade Premiere gefeiert, das Projekt ist aber eigentlich schon über ein Jahr alt. Der ursprüngliche Gedanke war eine Jazzband ohne Drums zu machen, die aber mit der Time so umgeht, als würden sie mit einem guten Drummer spielen. Das ist eine relativ anspruchsvolle Aufgabe für jeden Beteiligten – weil die Time, diese kleinen Raffinessen wie man mit dem Rhythmus umgeht und wo man die Töne plaziert, das ist im Prinzip immer die Aufgabe von allen Mitspielern. Man glaubt meistens, dass das die Hauptrolle des Schlagzeugers ist – ist sie aber nicht immer. Die guten Schlagzeuger freuen sich ja auch, wenn jemand anders auch mal diese Rolle übernimmt und sie in der Konversation gleichberechtigt mitreden können. Ich habe dann in meinem Kopf nach Musikern gesucht, mit denen ich dieses Projekt gerne machen würde, und da war mir natürlich der Bass sehr wichtig: dass der extrem rhytmisch aber auch wendig und leichtfüßig ist. Ich habe da dann gleich an Larry Grenadier gemacht, mit dem ich ja in den Staaten schon vor Ewigkeiten gespielt habe – in der Band von Gary Burton übrigens. Beim Saxophon war es mir wichtig, dass es einen transparent-durchlässigen Sound hat, damit meine akustische Gitarre durchkommt. Wenn das ein Saxophon mit extrem geschlossenen Sound ist, geht das mit der Akustikgitarre nicht gut zusammen. Da waren ein paar Musiker in meinem Kopf, in diesem Fall Andy Scherrer. Ich habe dann eben komponiert, es war die übliche Vorgehensweise: ich denk mir ein Projekt auf, schreib die Musik, gehe dann auf Tour und meistens wird dann auch eine CD draus.
Schreibst du die einzelnen Parts im Kopf auch schon für die spezifischen Musiker ?
Ja. Es sollen zwar schon auch andere Personen das spielen können, aber ich habe beim Schreiben schon den Sound der jeweiligen Person im Kopf. Das ist beim Schreiben inspirierend, wenn du dir schon vorstellst wer das jetzt spielt.
Das ist jetzt der wievielte Release auf deinem Label „Material Records“?
(überlegt kurz). Jetzt erscheint das 33. Album, eine CD von meinem Bruder, Christian. Somit war „Drumfree“ die 32.
Das Label hast du ja noch in den USA gegründet, kurz bevor du nach Wien gezogen bist, 2001 – mit dem Beweggrund, dir ein Umfeld zu schaffen, in dem du autonom agieren kannst nehme ich an?
Einerseits natürlich das, ja. Es war eine Idee, die schon länger in meinem Hinterkopf war, der auslösende Moment war dann, das ein Label abgesprungen ist, für das Projekt, das dann als erstes auf Material Records erschienen ist – das war „Daily Mirror“, die erste Zusammenarbeit auf CD mit Rebekka Bakken. Wir hatten schon alles geplant, geschrieben, gebucht und geprobt und das Label ist dann abgesprungen. Das war der Zeitpunkt, es dann eben selbst zu machen.
Ehrlich: großartiges Album, „Nowhere“ ist wirklich ein Lieblingssong von mir.
Danke, das freut mich! Es war ein ambitioniertes Projekt damals und hat irrsinnig Spaß gemacht. Vom Business sicher auch ein wenig Greenhorn-mäßig agiert, habe mir das alles mit diesem Release aufgebaut. Das war ein guter Start. Eine gute Dekade ist das jetzt her.
Du veröffentlichst auf dem Label ja nicht nur deine eigenen Projekte.
Ja, es gibt einige andere Künstler. Beispielsweise den türkischen Pianisten Aydin Esen, der ein sehr modernes und komplexes Soloalbum veröffentlicht hat: schon Jazz, aber mit vielen Einflüssen von zeitgenössischen Kompositionen. Dann auch Helgi Jonsson bei uns ein Album veröffentlicht, den habe ich gerade wieder einmal im Fernsehen gesehen, gefällt mir sehr gut was er jetzt macht. Es gab es auch ein zweites Album mit Rebekka Bakken („Beloved“, Anm). Dann gibt es neben den Veröffentlichungen von Christian mit „Amarcord“ auch das Projekt meines anderen Bruders, Gerhard. Das ist ein Ensemble in Astor Piazolla-Besetzung, ein Album haben sie mit der Musik von Sadie veröffentlicht, ein anderes mit der großartigen Sängerin Elisabeth Kulmann, da ging es um Lieder von Mahler… wir haben also ein sehr großes Spektrum.
Wie schwierig hat man es als Jazzlabel?
Es ist eine schwierige Zeit für alle Labels, generell. Es brechen die alten Strukturen ein, die Händler, die traditionellen Vertriebe. Es gibt immer weniger gut bestückte Händler, die Zeiten wo man ins Geschäft gegangen ist und sich durchgehört hat sind vorbei. Die digitalen Downloads haben natürlich etwas wettgemacht, aber nicht in der Relation dazu, wie der Verkauf von physischen Tonträgern eingebrochen ist. Es ist ein Umbruch, und alle versuchen einen Weg zu finden – weil das Interesse an Musik ist ja nicht gesunken – also muss man schauen, dass man das auf neuen Wegen kommuniziert, und wir sind selbst in einer Umstellung als Label. Das nächste Projekt wird ein Songprojekt von mir, und da werden wir auch viel Internet-based Kommunikation betreiben, viel mehr als jetzt.
Bemerkst du in deinem Umfeld eigentlich die Problematik von illegalen Downloads ? Ich dachte ja eigentlich, dass gerade jene Leute, die sehr spezifisch und intellektuell Musik hören, eher dazu geneigt sind, sich Sachen zu kaufen.
Ich glaube schon, dass es ein Prozentsatz ist, der dir als Label entgeht. Aber es stimmt schon was du gesagt hast: dass die Hörer von „unserer“ Musik schon gerne Alben in der Hand halten – ich bin ja selbst auch noch altmodisch, wenn mir was gefällt möchte ich die CD haben, auch wenn ich das dann natürlich auch am I-Phone habe.
Es ist eine Frage der Ethik geworden.
Das stimmt, aber die Legal Downloads-Plattformen wachsen ja auch. Aber es ist schon auch so, dass Musik auf Festplatten irgendwie anonym wirkt. Und oft ist es auch so, dass man Massen an Musik auf Festplatte bekommt, aber nie richtig reinhört. Es ist kein besonders sinnliches Erlebnis. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Wir sind nach wie vor sehr dedicated, und wir müssen natürlich mit unseren Strukturen schlank und klug sein.
Kann man da von einem „Break even“ sprechen?
Ja, man kann das durchaus genau berechnen. Es kommt natürlich die Aufwändigkeit der Produktion an, in unserem Rahmen sind das durchschnittlich 1500 Stück. Bei 2000 bist du dann meistens im Plus. Live verkaufe ich nachwievor so gut wie früher, da ist nichts eingebrochen – der CD Verkauf nach den Konzerten ist genau gleich geblieben.
Wobei das Livespielen ja die sicherste Einnahmequelle ist, oder?
Es ist die Kerntätigkeit sozusagen. In unserem Bereich quasi die wichtigste Arbeit für uns. Beim Livespielen kommt die Qualität eins zu eins rüber, da kannst du nichts faken. Das ist für uns natürlich spannend.
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Alle Fotos (c) Bernd Manhartseder.
"Ausgehen muss es immer von diesem inneren, leuchtenden Teil".
Du hast vorhin von einem Songprojekt gesprochen. Kannst du uns da ein wenig mehr davon erzählen?
Ich muss es erst bis zum Ende gehen, um sagen zu können was rauskommt. Es sind Songs, die ich geschrieben habe und in zwei Phasen rauskommen, auf zwei Tonträgern. Das erste ist nur mit Gitarren und Stimme, bei der ich selbst singe. Die zweite ist mit vielen Musikern aus vielen Bereichen und Erdteilen. Eine ganz pure und nackte, und eine ganz oppulente Version. Ich bin da gerade mittendrin, und weiß noch nicht wie lange es dauern wird. Das Projekt mit Rebekka, das jetzt wieder im Raum steht, wird etwas Neues. Die Tatsache, dass ich mich in letzter Zeit viele Songs und Texte geschrieben habe, connected mich wieder mit ihrer Welt, das wird ein Update von unserem Duo. Da haben wir große Lust drauf, es wird aber nicht so bald passieren.
Rebekka hat ja auch selbst gerade ein neues Album am Start.
Ja, und eine sehr große Tour vor sich, 60 Konzerte glaube ich. Irgendwas werden wir aber wieder machen. Ich steh nachwievor sehr drauf wie sie singt, und auf ihre Songs. Das ist sehr interessant, wie sich das alles entwickelt hat und wie die aktuelle Version klingen würde.
Eure zweite Zusammenarbeit, „Beloved“ war ja ein Duoalbum – „Daily Mirror“ ein Album in Bandbesetzung mit Kompositionen aus deiner Feder.
Das war natürlich einerseits ich als Jazzmusiker, der komponiert und die Mitmusiker im Kopf hat – und andererseits die Notwendigkeit wirkliche Songs zu schreiben, die man auch singen kann. Es reicht nicht, nur komplexe Musik zu schreiben, die zwar hip ist und raffiniert, aber dem Sänger keine Bühne gibt. Ich habe damals versucht, diesen Brückenschlag zu machen. Ich war damals auch völlig inspiriert und habe nicht daran gedacht, was das jetzt für ein Markt war. Das war eine sehr positive und inspirierte Zeit damals in New York. Es gab auch seitens Rebekka damals viel Feedback, wenn gewisse Sachen nicht gut singbar waren, oder gewisse Silben. Ich habe damals viel gelernt darüber, wie man die Stimme bedienen kann.
Wie kann man sich deinen Kompositionsprozess vorstellen?
Meistens geht es von der Gitarre aus. Ich stelle mir die anderen Stimmen ein, singe die. Wenn ich die irgendwann nicht mehr singen kann, gebe ich sie im Sibelius rein, ein Notenschreibeprogramm. Alles, was ich mit Gitarre und Stimme nicht machen kann, mach ich dann im Sibelius. Mit Gitarre und Stimme hast du ja schon sehr viele Möglichkeiten. Beim Komponieren ist das spanennde, dass du eine kleine Zeile finden musst, die dich beglückt. Wenn du diese Zelle nicht hast, wird das nie wirklich etwas: es kann zwar „kompetent“ sein, wird aber nie ein Leben haben. Das ist das Beglückende, diese Zelle zu finden. Das kann ein Akkord sein, ein kleiner Melodieschritt – etwas dass du am nächsten Tag wieder spielst und das gleiche Gefühl rüberkommt.
Eine Hook also?
Kind of – es kann aber auch einfach ein kleines Detail im großen Zusammenhang sein. Und dann geht es darum, diese Zelle auszuweiten ohne zu schwindeln. Der nächste Takt muss dich genauso beglücken, und dass kann eben dauern. Manche Songs dauern Monate, und irgendwann findest du es dann, oder eben nicht. Man muss aufpassen, dass man nicht zuviel konstruiert beim Komponieren. Konstruktion klingt nicht gut, sie ist wichtig zur Gesamtbalance. Natürlich ist Wissen wichtig, Systeme, Skalen. Ausgehen muss es aber immer von diesem inneren, leuchtenden Teil. Du kannst nicht lügen, das hört man. Musik ist immer wahr, du kannst dich nicht verstecken – das ist spannend. Es heißt aber nicht, dass es immer raffiniert sein muss, das können durchaus auch nur drei Akkorde sein und es ist spannend. Wenn diese drei Akkorde aber ein Klischee sind, das es schon in hunderttausend Songs gibt, wird es dich auch nicht beglücken.
Eine Bauch-Kopf Balance also.
Absolut – es muss vom inneren Hören, von der Vorstellung ausgehen und nicht vom Wissen. Deshalb sind Musikschreibprogramme auch nicht ungefährlich, weil sie zu einer visualisierten Vorstellung von Musik verleiten. Das unterschätzt man selbst als Komponist. Man hat auf einmal die Taktstriche vor sich, an die man beim Komponieren nicht im Geringsten denkt. „Aha, interessant, da ist eine 5/4 und der A-Teil ist nur sieben Takte“. Es gibt ja keine Regeln, dass etwas so sein muss, das ist Bullshit.
Glaubst du, dass für ausgebildete Musiker eine Verkopfungsgefahr existiert?
Ich glaube, man kann nie zuviel wissen und nie zuviel lernen. Es gibt ja Menschen, die daran glauben, dass ihr Blues in Gefahr wäre, wenn sie zuviele Akkorde können. Daran glaube ich überhaupt nicht. Aber es ist natürlich so, dass in unserer akademischen Welt in der die Klassik und der Jazz gelehrt wird, soviele Systeme vorkommen, dass es für Studenten wichtig ist, sich bewußt zu sein, dass diese Systeme einfach interessante Zugänge sind, Hintergrundwissen dass man benutzen kann – dass es aber noch keine Musik macht. Das mag eine Gefahr sein, aber gute Musiker vertrauen immer ihrem Impuls. Das macht sie stark und individuell. Es ist schon wahr, es gibt viel komplexe Jazzmusik, die innerlich nicht gehört ist und dadurch auch beliebig wirkt.Friendly traveller.
Ist dieser Zugang auch wichtig für deine Lehrtätigkeit in Basel?
Wir arbeiten sehr viel daran, ja. Auch am Hören: dass man Klänge sofort erkennen kann, das ist für Jazzmusiker enorm wichtig. Du hörst einen Klang, und weißt sofort was es ist, es ist wie eine Emotion. Wenn du weißt, wie es klingt, was es für ein Planet ist: dann kannst du es niemehr mit etwas anderem verwechseln. Du musst innerlich begreifen was es ist, das ist kein intellektuelles Verstehen – du verstehst es früher, als du es bennen kannst. Diese Klänge zu verstehen, diese Farben internalisiert zu haben: das ist ein wichtiges Tool für Jazzmusiker und Komponisten. Das tolle ist, dass man das wie einen Muskel trainieren kann.
Ein anderes Projekt von dir ist „Friendly Travellers“ mit Brian Blade. Der war ja gerade mit Daniel Lanois in der Arena.
Ja, und mit Trixie (Whitley, Sängerin und Tochter von Chris Whitley, Anm.) an den Vocals. Brian hat mich eingeladen, aber ich war leider nicht in Wien. War’s gut?
Wahnsinnig gut. Wie kam die Zusammenarbeit bei Euch zustande?
Mit Brian gab es schon eine längere Zusammenarbeit und Freundschaft. Das geht auf einen Workshop in Dänemark zurück, das war eine super Gruppe. Wir haben uns kennengelernt, zusammengespielt und das hat gut funktioniert. Wir haben viel im Trio gespielt, mit Marc Johnson am Bass. Irgendwann gab es im Rahmen von Jazz Baltica ein Konzert, da hat Brian eine Residency gehabt und wollte ein Projekt mit mir machen. An dem Abend konnte Marc Johnson aber nicht, und wir wollten keinen anderen Bassisten einproben. Also haben wir beschlossen, zu zweit zu spielen – und das war cool, also haben wir beschlossen, ein Duo zu machen und haben zu schreiben begonnen. Das hat dann mit Album und Tourneen ein Leben bekommen. Das ist natürlich ein absoluter Traum, mit Brian zu spielen. Brian ist ein Wunder, er spielt einfach keinen bestimmten Stil, kann alles spielen. Ein ständiger Improvisator, der den Sound respektiert und dir immer etwas zuwirft, mit dem du arbeiten kannst. Wir sind im Gespräch, nächsten Sommer wieder etwas zu machen und auch bei der oppulenten Version meines Songprojekts hätte ich ihn gerne dabei. Es hängt natürlich auch von Brians Kalendar ab, aber werden sicher bald zusammenkommen.
Musiker erzählen sich gerne Seemansgarn. Es gibt die Geschichte, dass du mal bei einem Beatles-Abend einer Band Partituren ausgeteilt hat, auf die über die gesamte Partiturfläche nur „ROCK“ geschrieben hast als Anweisung. Seemansgarn oder nicht?
Das glaube ich nicht, dass das so passiert ist. Es gab schon einmal ein Beatles-Ding, das hat Thomas Gansch ins Leben gerufen, da war auch JoJo Mayer dabei. Da spielten wir alle Beatles-Songs, die wir kannten, in unseren Versionen. Es kann schon sein, da ss ich da einmal angemerkt habe, dass das Rock sein soll – aber ich hab das sicher nicht über die ganze Partitur geschrieben.
Also Seemannsgarn.
(lacht). Ja, Seemannsgarn!
Danke an Wolfgang Muthspiel fürs Gespräch. Für News und Infos sei die Homepage seines Labels Material Records.
Das Gespräch führte Markus Brandstetter.
STADTBEKANNT
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Bin großer Fan vom Muthspiel und seinem Material Records Umfeld, schön ein Interview zu lesen dass da mal ein bisschen in die Tiefe geht! Gut gemacht!
Ja gefällt mir auch.
Spannende Type der.