8. Januar 2014

Tausendundeine Geschichte aus Wien: Der Fehler in unseren Sternen

Schönlaterngasse (c) STADTBEKANNT

Warum die Wunderbar der Ausgangspunkt einer Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn und das Wetter in der Schönlaterngasse anders als das in Hütteldorf ist.

In die Wunderbar im ersten Wiener Gemeindebezirk kommen Menschen, die das Träumen noch nicht verlernt haben, oder auch einfachere Leute, denen ein Piff Bier, ein Schuss Wodka und die Zeitung von heute ausreichen, um mit dem Leben Frieden zu finden. Hier in der Schönlaterngasse, über der ein sternenklarer Himmel thront, obwohl in Hütteldorf längst alles verschneit ist, wird hauptsächlich geraucht und getrunken, doch nicht ausschließlich: Der Mann mit britischem Akzent am Tisch gegenüber redet mit seiner jungen Begleitung, die er abschleppen möchte. Rechts von mir debattiert eine Gruppe Studenten mit gehobenen, vom Alkohol selbstsicher gemachten Stimmen über Politik. Und ich spreche über die Route der transsibirischen Eisenbahn, mit der ich nie fahren werde, in welche ich mich aber für die Dauer eines Abends hineinträume. Alleine von Moskau nach Novosibirsk dauert es schon zwei Tage – das muss man sich einmal vorstellen, das sind achtundvierzig Stunden im Zug. Ein weiterer Tag und man ist in Irkutsk, das kenne ich nur vom Risiko-Brettspiel aus meiner Kindheit. Erst fünf Tage danach kommt Peking. „Wie viel kostet eigentlich eine Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn…und wo steigt man da ein? „In Moskau, und billig ist das Ticket nicht“, erklärt meine Begleitung, die ich schon seit der Ewigkeit eines Abends in der Wunderbar kenne. „Ich habe außerdem gehört, dass Touristen, die mit der transsibirischen Eisenbahn fahren, ein kleines Vermögen für gekühlte Getränke und kleine Snacks einplanen sollten, die von Verkäufern durchs Fenster verkauft werden an Stellen, an denen der Zug hält oder sehr langsam fährt. Aber ich glaube, wenn man da einmal drinnen sitzt, denn denkt man über so etwas wie Geld gar nicht mehr nach.“ Die Kellnerin mit deutschem Akzent bringt ein frisches Glas Chardonnay und für einen Augenblick irritiert es mich, dass ich hier nicht auf wienerisch bedient werde. Doch wer nach Novosibirsk will, muss auch mit einer deutschen Kellnerin fertig werden können.

Nach Mitternacht

Der Herr am Nebentisch setzt sein Wodkaglas an den Mund, trinkt es in einem Zug aus und spült das klare Getränk mit einem kräftigen Schluck Bier herunter, ohne einen Mundwinkel zu verziehen oder von seiner Zeitung aufzublicken. Es ist mittlerweile so verraucht, dass es überhaupt keinen Sinn mehr macht, sich keine Zigarette anzuzünden. Weit nach Mitternacht ist die Bar an einem Montagabend voll und keiner fragt hier nach der Uhrzeit oder gar dem morgen. Was wohl die Leute in Irkutsk gerade machen und ob es dort auch eine Wunderbar gibt oder ob es dort wenigstens manchmal genauso wunderbar ist wie hier? Ich hoffe es für sie, während wir auf die Schönlaterngasse hinaustreten, in der es nun endlich auch begonnen hat zu schneien, es war also doch kein Fehler in den Sternen. Der Anblick Wiens lässt uns erschauern und traurig werden, wie es nur etwas wahrhaft Schönes vermag, von dem wir wissen, dass es nicht immer da sein wird. Ich weiß, dass sich unsere Wege jetzt trennen werden und frage mich, was passieren würde, wenn wir wirklich morgen in den Zug steigen und aufbrechen würden. „Kommt es dir nicht seltsam vor, dass wir immer darüber reden, alles anders zu machen und dann doch jeden Tag hier sitzen in dieser Bar oder einer anderen?“
„Natürlich, aber stell dir einmal vor, alle Menschen würden all das machen, was sie sich jeden Tag vornehmen. Dann gäbe es doch am Himalaja, in Neu Delhi und am AMS keinen Platz mehr.“ Die Ubahnstation taucht vor uns auf und ich muss nach Hütteldorf und sie nach Heiligenstadt, uns trennen Welten. Gleich ist es soweit dann sind wir fort, dann fährt der Zug ein, doch die Anzeige am Gleis ist abgeschaltet und erst jetzt erkennen wir, dass es nach Mitternacht ist, obwohl wir das doch schon vorher gewusst haben. Wir gehen dankbar zurück, während der Wind unsere Spuren im Schnee verweht, um ein paar weitere Stunden darüber zu sprechen, mit der transsibirischen Eisenbahn in die fernen Weiten zu fahren.
Andreas Rainer

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt