25. Februar 2011

Stadtbekannt zu Besuch beim Verein Ute Bock

Flüchtlingsprojekt Verein Ute Bock

Die Große Sperlgasse, unweit von einem der neueren hippen Plätze Wiens – dem Karmeliterplatz – gelegen, ist eine dieser Straßen, denen man den Aufwertungsprozess ansieht, den das ganze Grätzl durchmacht. Die teils heruntergekommenen, teils leer stehenden Häuser lassen auf Wohnungsspekulation schließen und kontrastieren die schicken Bobo-Behausungen, die in der Umgebung wie Schwammerl aus dem Boden sprießen.

Eigentlich vermutet man hier nichts Außergewöhnliches – die vielen auf der Sperlgasse stehenden Menschen, die scheinbar auf etwas warten, belehren aber schnell eines Besseren.

Die auf der Straße Wartenden tun dies, wie kaum anders zu erwarten, nicht aus Jux und Tollerei. Sie warten nicht auf Godot, auch wenn die Asylverfahren, in denen sich die meisten von ihnen befinden, häufig wie eine boshafte Mischung aus Becketts berühmtem Werk und Kafkas Prozess wirken. Sie warten, weil hier das Flüchtlingsprojekt Verein Ute Bock Quartier ansässig ist .

Wir haben uns durch das Gebäude führen und uns den Alltag der VereinsmitarbeiterInnen schildern lassen. Unser Gespräch mit Ute Bock könnt ihr hier nachlesen.

Post und Meldeservice

Montags, mittwochs und freitags wird auf Post gewartet. Es findet hier nämlich ein ganz besonderes, von Freiwilligen betreutes Post- und Meldeservice statt. An die tausend Personen, die sonst nirgendwo gemeldet sind, können dies beim Verein tun und sich damit ihre Post zustellen lassen. Warum sie nirgendwo gemeldet sind? Dafür gibt es verschiedene Gründe: manche halten es in den Pensionen am Ende der Welt, in denen sie in vielen Bundesländern einquartiert sind, nicht mehr aus, andere sind aus der Grundversorgung, die sozialstaatliche Beihilfe für AsylwerberInnen, gefallen.

Die Grundversorgung beträgt maximal 180 Euro, hier könnt ihr die genauen Summen für Wien einsehen, in vielen Bundesländern ist sie nach dem zweiten negativen Bescheid komplett weg. Dann gibt es überhaupt kein Geld mehr und die AsylwerberInnen sind zur Gänze auf karitative Einrichtungen wie den Verein Ute Bock angewiesen.

Neben den finanziellen Problemen, der dann wegfallenden Krankenversicherung und der fehlenden Unterkunft, gibt es noch ein weiteres Problem: Wer nicht gemeldet ist, dem können Behördendokumente nicht zugestellt werden und dementsprechend kann auf diese auch nicht reagiert werden – was wiederum negative Auswirkungen auf ein laufendes Asylverfahren hat. Das Postservice des Vereins verhindert, dass Menschen, die aus der Grundsicherung fallen, neben allen anderen Problemen auch noch klammheimlich aus dem Asylverfahren fallen, weil sie Fristen versäumen.

 

Das Vereinsgebäude in der Sperlgasse 4

Von außen ist klar, was uns vor Ort bestätigt wird. Die Sperlgasse 4 ist ein Prekarium, irgendwann wird hier generalsaniert werden, dann werden wohl auch hier schicke Bobo-Behausungen entstehen. Bis es soweit ist, darf der Verein Ute Bock bleiben.

Wir gehen vorbei an der Menschenschlange, durch die Tür ins Vereinsgebäude, wo uns wieder Wartende begegnen. Ein paar, die auf ihre Post warten, rechts von ihnen einige, die an ein paar Computern das Internet nutzen oder es gerne bald tun würden; und dann noch mehr Wartende.

Irgendwie ist hier alles auf einmal. Auf kaum mehr als hundert Quadratmetern ist ein Post- und Meldeservice, die Beratungsstelle des Vereins, das Büro von Frau Bock und dazwischen ist jeder freie Quadratmeter als Lager in Verwendung. Alles was von SpenderInnen vorbeigebracht wird und noch nicht verteilt ist, wartet hier auf weitere Nutzung.

Längst nicht alles, was gespendet wird, kann jedoch auch wirklich verwendet werden. Es ist geradezu erstaunlich, in welchem Zustand manch eine/r Dinge noch für verwendbar hält. SpenderInnen vor den Kopf zu stoßen muss man sich leisten können, genauso wie nicht durch Zwischennutzung selbst zur Gentrifizierung beizutragen. Beides ist aber unvermeidlich. Im Verein sieht man das pragmatisch: bevor riskiert wird, dass jemand zukünftig nicht mehr spendet, nimmt man in der Regel einfach jede Spende an. Auch alteingesessene MieterInnen sind schließlich nicht gezwungen, beim Anblick der ersten AsylwerberIn ihre Wohnungen zu räumen und so dem Aufwertungsprozess zu weichen.

Platzmangel

Die Verhältnisse sind, wie sie sind, und das heißt vor allem beengt: Brauchbares und Unbrauchbares wird hier gelagert, was das Vorankommen zum reinsten Hindernisparcours macht – zumindest für Ungeübte wie wir es sind. Dazwischen stehen und sitzen immer wieder Menschen, die auf Beratung warten, ihre Post abholen wollen, oder etwas mit Frau Bock persönlich klären wollen oder müssen.

An mehreren Tischen beraten MitarbeiterInnen des Vereins ihre KlientInnen, es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Es fehlt an geschlossenen Räumen, in denen man ungestört die oft sehr persönlichen Probleme bearbeiten könnte.

Ute Bock selbst sitzt in einem abgetrennten Büro, das sie sich mit einem weiteren Mitarbeiter, einer Katze (von den MitarbeiterInnen übrigens liebevoll „Bocki“ genannt) und einem überquellenden Lager teilt. Ihr Büro wirkt, als stünde es kurz davor von Akten, gespendeten Materialien und Papier verschlungen zu werden. Frau Bock, wie auch die anderen MitarbeiterInnen, kommen jedoch einigermaßen mit den beengten Platzverhältnissen zurecht, auch Unterlagen die benötigt werden, scheinen sofort auffindbar zu sein – was uns ehrlicherweise erstaunt.

Neben Frau Bock, der Beratungsstelle, einem improvisierten Internetcafe und dem Meldeservice gibt es im Gebäude auch Wohnungen, in welchen Familien untergebracht werden. Im ersten Stock befinden sich die Fundraising- und PR- MitarbeiterInnen des Vereins sowie die Buchhaltung. Hier arbeiten auch einige hochmotivierte Zivildiener, die alle auch wirklich genau hier arbeiten wollen – sie mussten ein Bewerbungsverfahren durchlaufen, denn der Verein ist als Zivildienststelle sehr beliebt.

Zivildiener übernehmen hier vielfältigste Arbeiten, einer von ihnen führt beispielsweise kleinere Reparatur- und Instandhaltungen in den Wohnungen durch. Ein anderer kümmert sich um die Wartung der Homepage. Zu tun gibt es genug. Von der möglichen Abschaffung des Zivildienstes ist auch das Flüchtlingsprojekt betroffen. Ob es auch für das Flüchtlingsprojekt Ute Bock einen Ersatz für die Zivildiener geben wird? Im Verein bezweifelt man das.

An Samstagen findet im Verein zusätzlich Rechtsberatung statt und auch Deutsch-, Alphabetisierungs-, EDV- und andere Bildungskurse werden regelmäßig angeboten. In der Engerthstraße, ebenfalls im zweiten Bezirk, gibt es auch noch eine eigene Stelle für die Kleiderausgabe.

 

In Zukunft mehr Platz?

Hans Peter Haselsteiner, der den Verein auch bisher großzügig unterstützt hat, wird dem Verein dauerhaft Räumlichkeiten zur Verfügung stellen. Das ehemalige Erziehungsheim Zohmanngasse, in dem Ute Bock selbst lange als Erzieherin gearbeitet hat, ist eine der möglichen Optionen.

Solange das Prekarium in der Sperlgasse noch genutzt werden kann, sind in den zahlreichen Wohnungen des Gebäudes Familien untergebracht. Hier und in etlichen anderen Wohnungen in den verschiedensten Ecken der Stadt werden zurzeit insgesamt 348 Personen untergebracht. Sie leben in 116 Wohnungen, viele davon sind Prekaria, andere, wie beispielsweise im Kabelwerk, werden mit Spenden angemietet.

Die untergebrachten AslywerberInnen befinden sich zu ca. 75 Prozent im Asylverfahren, die anderen sind entweder Konventionsflüchtlinge, EU-BürgerInnen, oder verfügen über ein Visum. Wer zum Verein kommt und um eine Wohnung ansucht, landet zumeist auf einer Warteliste. Wenn nicht gerade eine Familie mit Kindern ohne Wohnung dasteht, muss in aller Regel bis zu sechs Monate gewartet werden, denn Wohnungen sind nie genug da. Am längsten muss auf glühenden Kohlen sitzen, wer eigentlich die Grundversorgung in einem Bundesland in Anspruch nehmen könnte. Frau Bock und ihre MitarbeiterInnen betonten zwar, dass es viele in der Einöde nicht aushalten, aber wer absolut keine anderen Unterbringungsmöglichkeiten hat, muss bei der Wohnungssuche klarerweise bevorzugt werden.

Schwierig ist es auch mit alleinstehenden Männern, der größten AsylwerberInnengruppe. Zumeist muss man sie in WGs unterbringen, Animositäten und Konflikte zwischen den unfreiwilligen Mitbewohnern sind an der Tagesordnung und somit auch Teil des Arbeitsalltags der VereinsmitarbeiterInnen. Da AsylwerberInnen auch bloß Menschen sind und solcherart nicht frei von Vorurteilen, gestaltet sich die Vergabe von Wohnplätzen an Einzelpersonen und die Überlegung, wen man mit wem zusammenwohnen lassen kann, häufig sehr kompliziert.

 

Alltag beim Flüchtlingsprojekt Ute Bock

Viele Aktivitäten des Vereins füllen die Lücke, die ein abwesender Sozialstaat in diesen Fällen hinterlässt. Sowohl in den Gesprächen mit den MitarbeiterInnen, als auch beim Beobachten der Arbeit wurde deutlich, dass hier viel nur deshalb machbar ist, weil es überall in allen Ämtern, in Kliniken und sonstigen Entscheidungsinstanzen Menschen gibt, die Fehler im System sehen und persönlich einspringen. Weil 150 Freiwillige Teile ihrer Freizeit für das Flüchtlingsprojekt opfern, weil MitarbeiterInnen bis an die Grenze der Belastungsfähigkeit arbeiten und weil Frau Bock, dank ihres guten Namens, wegen ihrer öffentlichen Bekanntheit und durch ihre jahrzehntelange Arbeit in Erziehungseinrichtungen alle Abläufe und die EntscheidungsträgerInnen kennt und immer wieder Dinge richten kann, die scheinbar nicht mehr zu richten sind.

 

Erfolgserlebnisse

Die Härte des österreichischen Fremdenrechtes sorgt für tragische Geschichten mit denen die MitarbeiterInnen des Vereins tagtäglich konfrontiert sind. Abschiebungen, Schubhaft und andere Katastrophen, wie schwere medizinische Probleme auf Grund der fehlenden Krankenversicherung, gehören zum Alltag. Uns hat interessiert, was für die MitarbeiterInnen eigentlich Erfolgserlebnisse sind, die sie weiterarbeiten und nicht verzweifeln lassen.

Wenn ein Bewohner geht, weil er zu seiner Freundin zieht und sich von allen verabschiedet, wie wir es beobachten konnten, dann ist das ein Erfolgserlebnis. Wenn Kinder trotz der teils traumatischen Erfahrungen, die sie belasten, schon nach wenigen Monaten sehr gut Deutsch sprechen oder wenn, was selten genug vorkommt, ein Asylverfahren positiv abgeschlossen wird, ist das ebenso ein Erfolg. Aber auch wenn es gelingt, jemanden unterzubringen, ihm/ihr einen Job zu vermitteln oder sonstige alltägliche Probleme gelöst werden können.

Ein Thema, das JournalistInnen interessiert, aber weniger vor Ort diskutiert wird, wie man uns immer wieder versichert hat, ist die Frage, was sein wird, wenn die inzwischen 68-jährige Frau Bock einmal nicht mehr rund um die Uhr im Einsatz sein kann. Der Verein, der ihren Namen trägt, steht und fällt mit ihr als Person. Ihr Name verleitet die einen zum Spenden, die anderen dazu, Filme zu drehen und Bücher zu schreiben – was wiederum zum Spenden bewegt.

Was wird einmal sein, das konnten wir auf unserer Erkundung nicht in Erfahrung bringen. Man kann natürlich hoffen, dass der Sozialstaat dereinst seine Aufgaben wahrnimmt und nicht Verpflegung, Unterbringung und medizinische Versorgung mancher für immer an karitative Vereine auslagert.

Da AsylwerberInnen keine Banken sind und es primär auf die Spendenbereitschaft jedes/r Einzelnen ankommt, wird sich der Verein wohl weiterhin finanziell in jeder Hinsicht an die Decke strecken müssen.

Wenn ihr selber helfen wollt, könnt ihr hier spenden oder auch in Kontakt treten, wenn ihr Küchengeräte, Heizungen, Kleidung, Fernseher, Computer oder andere nützliche Dinge abgeben wollt. Auch ehrenamtliche HelferInnen sind immer gerne gesehen.

 

Ungelöste Probleme

Ein Thema, das JournalistInnen interessiert, aber weniger vor Ort diskutiert wird, wie man uns immer wieder versichert hat, ist die Frage, was sein wird, wenn die inzwischen 68-jährige Frau Bock einmal nicht mehr rund um die Uhr im Einsatz sein kann. Der Verein, der ihren Namen trägt, steht und fällt mit ihr als Person. Ihr Name verleitet die einen zum Spenden, die anderen dazu, Filme zu drehen und Bücher zu schreiben – was wiederum zum Spenden bewegt.

Was wird einmal sein, das konnten wir auf unserer Erkundung nicht in Erfahrung bringen. Man kann natürlich hoffen, dass der Sozialstaat dereinst seine Aufgaben wahrnimmt und nicht Verpflegung, Unterbringung und medizinische Versorgung mancher für immer an karitative Vereine auslagert.

Da AsylwerberInnen keine Banken sind und es primär auf die Spendenbereitschaft jedes/r Einzelnen ankommt, wird sich der Verein wohl weiterhin finanziell in jeder Hinsicht an die Decke strecken müssen.

Wenn ihr selber helfen wollt, könnt ihr hier spenden oder auch in Kontakt treten, wenn ihr Küchengeräte, Heizungen, Kleidung, Fernseher, Computer oder andere nützliche Dinge abgeben wollt. Auch ehrenamtliche HelferInnen sind immer gerne gesehen.

7 Kommentare

  1. Lucia

    25. Februar 2011

    Eine Reportage über Ute Bock
    Eine Reportage über Ute Bock, wow. Stadtbekannt wird wirklich immer lesenswerter!

    Reply
  2. clementine

    25. Februar 2011

    bock
    ein großes lob an frau bock, die großartige arbeit leistet. wann kommt denn das interview?

    Reply
  3. stadtbekannt

    25. Februar 2011

    @Clementine
    Das Interview kommt voraussichtlich am Sonntag.

    Reply
  4. clementine

    25. Februar 2011

    @stadtbekannt
    ah super. schöne sonntagslektüre. freu mich schon!

    Reply
  5. Clara

    25. Februar 2011

    Das ist eine gut gemachte Reportage finde ich
    sehr berührend und informativ.

    Reply
  6. andreas

    25. Februar 2011

    @clara
    da kann ich nur zustimmen. wirklich gelungen. danke!

    Reply
  7. karin

    25. Februar 2011

    schlimm
    dass frau bock in so einem vereinslokal untergebracht ist. da muss einfach mehr platz her! bzw. wie kann sich der staat dieser verantwortung so entziehen, dass leute wie frau bock und ihre mitarbeiter einspringen müssen? zum schämen…

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