30. Mai 2013

Ringrunde

Wie viele Schritte braucht man, um den Ring zu umrunden? 

Früher war alles besser, 1857 etwa gab es noch großkalibrige Schlagzeilen. Die „Wiener Zeitung“ veröffentlichte am 25. Dezember folgende Willensbekundung des Kaisers an Alexander Freiherr von Bach: „Es ist mein Wille, dass die Erweiterung der inneren Stadt Wien mit Rücksicht auf eine entsprechende Verbindung derselben mit den Vorstädten ehestmöglich in Angriff genommen und hiebei auch auf die Regulierung und Verschönerung Meiner Residenz- und Reichshauptstadt Bedacht genommen werde. Zu diesem Ende bewillige ich die Auflassung der Umwallung und Fortifikationen der inneren Stadt sowie der Gräben um dieselbe.“

Der Geburtsmoment der Ringstraße, die das unweigerliche Zentrum Wiens ist: verkehrstechnisch, für Veranstaltungen und Sehenswürdigkeiten, für Touristen wie für Wiener. Nicht umsonst sagt man noch heute „Ich fahre in die Stadt“, wenn man in den 1. Bezirk muss.

Dieser Ring ist strenggenommen ein unvollständiges Siebeneck. Der Kai wird von Wienern zwar zur Ringrunde gerechnet, ist aber eben der Franz-Josefs-Kai. Auf Anordnung des Kaisers wurde erst sieben Jahre lang abgerissen und dann von 1869 bis 1888 gebaut, was menschliche Ressourcen und parallel geführte Kriege zuließen. Das Geld war kein Problem – man erzielte dank des Verkaufs der Glacisgründe hohe Gewinne. Die kritischen Augen der Bevölkerung hingegen schon: Der Ringstraßenstil, die Wiener Variante des Historismus, lehnte sich an allem an, was der Geschichtsunterricht hergibt – von Renaissance über Gotik und Barock bis hin zu Interpretationen derselben. Der heutige Ring zeigt auch moderne, teils wenig schmuckhafte Gebäude, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Bombenlücken füllten. Bestes Beispiel ist der Opernringhof (früher der Heinrichshof) gegenüber der Staatsoper.

Das modernste am Ring ist seine Nutzung, die sich ebenfalls wie ein Geschichtsbuch liest. Zur Silbernen Hochzeit von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth 1879 fand hier ein Festzug mit über 2000 Teilnehmern in Renaissance-Kostümen (nach Entwürfen von Hans Makart) statt. Hitler zog über den Ring auf den Heldenplatz, um den „Anschluss“ zu verkünden. Hier wird Marathon gelaufen, königliche Staatsbesucher werden präsentiert, Menschen tun ihre Meinung bei Demonstrationen kund, Fußballfans sahen die Spiele der Europameisterschaft 2008. Am 29. Juni 1996 fand hier die erste Regenbogenparade statt – mittlerweile eines der größten Homosexuellenfeste Europas, das seit 2003 vom Verein HOSI (Homosexuellen Initiative Wien) organisiert, immer an einem Samstag Ende Juni, Anfang Juli stattfindet.

Auf den 5,2 Kilometern (inklusive Kai) rund um die Innere Stadt stehen Denkmäler von Musikern (Strauss) und Politikern (Adler), griechische Göttinnen (Pallas Athene), hier wird studiert (die erste Universität Wiens wurde 1365 gegründet), lange Zeit spekuliert (Börse), fotografiert (Touristen, überall) und lamentiert (Wiener, Kaffeehäuser). Hier gibt es Nachdenkliches (Lichtermeer gegen Ausländerhass) und Unterhaltsames (Kasperltheater in Urania und Parlament).

Die Ringrunde mit der öffentlichen Straßenbahn wurde vor einigen Jahren durch neue Linienführungen unmöglich gemacht, es gibt aber noch eine Sightseeing-Bim. Oder die viel bessere Möglichkeit, einmal zu Fuß um den Ring zu gehen. Dabei gewann Heinz Halbhuber – rüstigster Mittsechziger und nicht zufällig mit dem Namen des Autos ausgestattet – folgende Eindrücke und Erkenntnisse: „Um den Ring (ohne Kai) sind es 5250 Schritte, dabei fallen folgende Gebäude und Abschnitte besonders ins Auge …“

Stubenring: 550 Schritte – Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Postsparkasse (Otto Wagner entwarf das „zugenageltste Gebäude der Welt“), Universität und Museum für angewandte Kunst, Café Milano („faszinierende Fassade“), Café Prückl

Parkring: 735 Schritte – Gartenbaukino (erbaut 1960, seit 1973 findet hier die Viennale-Eröffnung statt), Kursalon Hübner im Stadtpark

Schubertring: 340 Schritte – Café Schwarzenberg

Kärntnerring: 460 Schritte – Hotel Imperial Opernring: 625 Schritte – Staatsoper, Opernringhof, Goethedenkmal, Schillerdenkmal, Burggarten, Burgkino (in dem Originalfassungen gespielt werden)

Burgring: 630 Schritte – Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum, Heldentor

Dr. Karl Renner Ring: 240 Schritte – Parlament, Volksgarten

Universitätsring: 765 Schritte – Rathaus, Burgtheater, Café Landtmann, Universität

Schottenring: 905 Schritte – Polizeipräsidium, Börse, Ringturm


„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.   

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