9. Dezember 2013

Geschichten aus dem Kaffeehaus – Das Westend

Wortner Kaffeehaus (c) STADTBEKANNT Zohmann

Eine Dame mittleren Alters hustet, als ob sie den Staub des gesamten Gürtels eingeatmet hätte, der sich nur zwei Meter neben ihr hinter dickem Lärmschutzglas vorbeischlängelt. Der Mann an ihrer Seite klopft sich lachend auf die Schenkel und zieht sie zu sich herüber: „Heast, Liesl, trink an Sliwowitz dann geht´s wieder!“, schreit er der direkt neben ihm gekrümmt, vom Hustanfall halb auf der Bank liegenden Frau ins Ohr. Der japanische Klavierspieler, der ein paar Minuten zuvor noch an meinem Nebentisch ein Kipferl mit einem großen Braunen runtergespült hatte, setzt ungerührt den Moonlight River fort – er würde auch nicht aufhören zu spielen, wenn neben ihm die Titanic sinken würde und es scheint nicht unwahrscheinlich, dass er zur Zeit dieses Unglücks auch schon am Flügel des Westend gesessen und Leuten beim Husten zugesehen hat.

Welt-end

Das Westend ist nicht nur das Ende der Mariahilferstraße, es ist auch das Ende Wiens, denn dahinter liegt das Grenzgebiet und der 15. Bezirk und alles was sich dahinter befindet, ist sowieso verloren. Leider ist der Westbahnhof mittlerweile nicht mehr schäbig, denn das würde den Druck vom Westend nehmen, das nun im Alleingang alle verlorenen Seelen vom Bahnsteig aufklauben muss, die dann ihrerseits dem Streben unterliegen, aus dem Grenzgebiet wieder ins Leben zurückzukehren. Ein Tourist, der erschöpft aus dem Zug ins erstbeste Wiener Lokal taumelt, wird entweder entsetzt sein vom Westend oder aber auch gerührt eine Melange bestellen, sich hinsetzen und eine Facette der Stadt genießen, die es eigentlich gar nicht mehr gibt. Hier ist der Frack der Kellner keine Show sondern vollkommen unnötig und gerade deshalb sympathisch, denn in der Welt der Besucher dieses Cafés gibt es keine Kleiderordnung.

Ins Westend geht man erst wenn die Sonne untergegangen und der Rausch vom Vortag ausgeschlafen ist. Zwischen Wieselburgerflaschen und Rotweingläsern trauen sich erst dann die wahren Helden der Stadt hervor, die sich zum Kartenspielen treffen und den Frust eines ganzen Lebens runterspülen, oder aber angetrieben von Bier und Schnaps den nächsten Bestsellerroman schreiben. Was sie eint ist die beruhigende Gewissheit des nächsten Achterls, denn das wird für alle gleich eingeschenkt. Eine Kellnerin fragt mich, ob das leere Häferl am Nebentisch mir gehört. Ich schüttele langsam den Kopf und zeige auf den Klavierspieler, der daraus zuvor getrunken hat. Sie lächelt mich zum ersten Mal an diesem Abend an, sagt etwas, das ich nicht verstehe und geht davon, während das leere Glas unberührt stehen bleibt und auf den nächsten einsamen Kellner der Nacht wartet.

Andreas Rainer

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