26. November 2011

Filmkritik: This must be the place

Cheyenne (Sean Penn) ist ein gealterter Rockstar mit schwarzer Kleidung und viel Make-Up über den Spuren einer früheren Heroinsucht. In seiner verbalen Fertigkeit wohl an Ozzy Osbourne angelehnt ist er mit ähnlicher Konzentriertheit an den täglichen Dingen des Lebens am Werk. Doch seine kaputte Fragilität und die bemüht langsam-leise Stimme sind mehr als Spuren eines ausufernden Lebens, das zu viele Gehirnzellen gekostet hat. Seine beste Freundin ist die traurige Mary, mit der er sich in der Mall zum Musik hören trifft. Sein restliches Leben verbringt er mit seiner Frau von 35 Jahren zurückgezogen in einer Villa am irischen Land, wo ausser Pelote spielen im leeren Pool wenig passiert. Was nach Blissful Boredom klingen könnte, ist in Wahrheit eine ausgewachsene Depresssion.

Wissen Sie über den Holocaust Bescheid?

Als sein Vater stirbt, macht sich Cheyenne mit seinem Bündel an Ängsten auf nach New York. Von dem jüdisch-orthodoxen Mann, den er nur noch tot auffindet, trennt ihn neben Alles und Jedem an ihren Leben vor allem die letzten 30 Jahre, in denen sie keinen Kontakt pflegten. Die Lebensaufgabe des Holocaust-Überlebenden war die Jagd nach Alois Lange, seinem Peiniger in Auschwitz, dem er vor seinem Tod knapp auf den Fersen war. In einem letzten Versuch des ungeliebten Kindes, sich die väterliche Liebe zu verdienen, macht sich Cheyenne auf die Suche nach dem Nazi-Schergen.

Der Roadtrip, der sich daraus entwickelt, zeigt die Künstlichkeit der Figur, die Cheyenne für sich geschaffen hat, während man dem zitternden, fiepsenden Mann dabei zusieht, wie es ihm auf natürliche Weise gelingt, jedem, den er begegnet, für sich zu gewinnen. Das zombieske Erscheinungsbild ist letztendlich ein Relikt, das die 20 Jahre, die er bereits aus der Öffentlichkeit verschwunden ist, überdauert hat.

Something’s not quite right, but I’m not exactly sure, what it is.


Was ist der entscheidende Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen? Vielleicht ist es, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Cheyenne ist zur grotesken Karikatur eines pubertierenden Teenagers mutiert, der sich von seinem Vater nicht geliebt fühlte. Zugleich konfrontiert mit der Schicksal eines erwachsenen Musikers, dessen traurige Musik zwei traurige Kinder zum Selbstmord animiert hat. Die Schuldgefühle sind überwältigend und lähmend. Die Suche nach dem Peiniger seines Vaters, der selbst nie die Verantwortung für seine Taten übernahm, macht den gealterten Barden letztlich erwachsen. This must be the place ist auch eine Hommage an die Folgen von Demütigung, und die Reaktionsmöglichkeiten, die gedemütigten Menschen übrig bleiben. Cheyenne wird kein Rachegott – soviel sei gesagt. This must be the place ist wunderschön, im filmischen, musikalischen, und emotionalen Sinne gleichermaßen. David Byrns und die Talking Heads haben nicht nur die Musik zum Film beigesteuert, sondern spielen auch sich selbst. Und niemand übertrifft Sean Penn in der Rolle seines Lebens. Fazit: überaus sehenswert. Im Rahmen des Jüdischen Filmfestivals ist This must be the place am 27. November 2011 noch einmal zu sehen und kommt am 6. Jänner 2012 regulär in unsere Kinos. Maxi Lengger

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