8. Oktober 2011

Drechsler, Kaffeeküche und das Kaffeehaus der Zukunft.

Über das Große Wiener Kaffeehaus-Experiment haben wir ja bereits berichtet. Wir haben uns jetzt mit Julia Landsiedl, Designerin-in-Residence für das Jahr 2011 im MAK und damit Mitverantwortliche für das Experiment, getroffen. Landsiedl kommt eigentlich nicht aus dem reinen Produktdesign, sondern hat sich im Besonderen auf den Design-Research Bereich konzentriert, was bedeutet, dass sie, bevor ein Produkt überhaupt entworfen wird, Kontext, Benutzerfreundlichkeit – kurzum die „usability“ – recherchiert, bevor sie sich an den eigentlichen Entwurf heranwagt. Und genau jene etwas untypische Herangehensweise hat Kurator und Projektleiter Thomas Geisler gefallen, der Landsiedl zusammen mit Stararchitekt und Kaffeehausbarde Gregor Eichinger eingeladen hat, das Große Wiener Kaffeehaus-Experiment zu gestalten. Und gemäß Landsiedls Arbeitsweise gilt bei dem zweiteiligen Ausstellungs-Experiment also: Phase I sammelt Ideen und stellt Fragen, Phase II präsentiert die Ergebnisse.

Stadtbekannt: Julia, was kann man sich unter „Designer-in-Residence“ am MAK so vorstellen?

Julia Landsiedl: Nun ja, ich arbeite hier als Designerin im Rahmen des Großen Wiener Kaffeehaus-Experiments so wie ich auch normalerweise arbeiten würde, also einerseits bringe ich mein Wissen hinein, andererseits lerne ich auch vom Museum, das ja wieder ganz andere Methoden und Herangehensweisen hat, es findet sozusagen ein Austausch statt. Museen sind ja oftmals sehr statisch und das soll sich durch dieses Experiment auch mal ändern.

Sb: Und was sind deine Funktionen im Museum konkret?

J.L.: Also wir befinden uns ja jetzt in Phase I, das ist eher eine Recherchephase, wo Ideen gesammelt werden. Meine Aufgabe ist es, das ganze Material optisch aufzubereiten, zu sehen im Designspace, der ja auch ein bisschen wie ein Arbeitsplatz von einem Designer aussieht. Und hier sieht man dann auch den Arbeitsprozess, es ist ja nicht so dass sich ein Designer hinsetzt und mit einem Strich das perfekte Objekt kreiiert sondern da steckt ja ein Prozess dahinter. Ich zum Beispiel arbeite sehr benutzerorientiert, sehr menschenfreundlich wenn man so will. Und der Designspace sieht ja ein bisschen aus wie ein Designstudio mit dieser Pinnwand und ist ja auch als „space in progress“ gedacht, also man kann als Besucher auch etwas dazupinnen. Es geht ja auch nicht um ein fertiges Produkt, mich interessiert es im Moment viel mehr Fragen zu stellen warum wieso etwas so ist, es geht nicht darum DAS Kaffeehaus der Zukunft zu bauen sondern das ganze hat einen eher unbestimmten Ausgang, deswegen gibt es auch die vielen Workshops mit internationalen Designern und Architekten. Die Ausstellung soll also einerseits den Besuchern vor Augen führen, wie ein Designer arbeitet und andererseits ist es wirklich eine Art Ideen- oder Themensammlung zum Kaffeehaus.

Sb: Du bist ja auch auf der Suche nach dem Ursprungsmaterial, den konstituierenden Komponenten des Wiener Kaffeehauses. Hast du dabei denn keine Angst, vielleicht gar nichts zu finden oder den Mythos Kaffeehaus gar nur zu zerreden?

J.L.: Nun ja man muss hier anmerken, dass dieses Projekt läuft ja unter der Forschungsregie von Gregor Eichinger, der Architekt ist, dessen Steckenpferd das Wiener Kaffeehaus ist. Er hat zusammen mit dem MAK die Idee zu diesem Projekt gehabt und dieses „Kaffeehaus der Zukunft“ quasi vorgegeben. Ich denke dass wir beide aus sehr verschiedenen Richtungen kommen, ich bin beispielsweise nicht so objektorientiert. Mein Gedanke war sehr stark: Man nimmt einen Thonet Kleiderständer und einen Sessel dazu und das ist ein Kaffeehaus? Das ist halt auch eine ästhetische Frage, aber ich würde das Kaffeehaus auch auf Grund der Recherche als sozialen Ort begreifen. Ich finde es zwar spannend zu fragen „Welche Dinge braucht es dafür unbedingt?“ aber eben auch die Frage nach den nicht-materialisierten Dingen, die da mitspielen.
Ich habe halt selber ein bisschen ein Problem damit zu sagen man macht DAS Kaffeehaus der Zukunft, das passiert ja von alleine. Die Kernmarke „Kaffeehaus“ funktioniert in Wien ja ganz gut, man sollte vielleicht eher fragen: Was fehlt an Räumen in der Stadt, wo sich Leute treffen können? Ich denke das ist wichtiger als nur das Altbewährte zu modernisieren.

Sb: Stichwort "sozialer Ort": Du hast in einem Interview mit der „Presse“ gesagt: „Das Wienerische am Wiener Kaffeehaus sind die Wiener“. Du selbst bist Wienerin, wie also darf man deine Definition verstehen? Inwiefern machen die Wiener das Kaffeehaus aus, was tragen sie dazu bei was andere nicht beitragen könnten?

J.L.: Naja, wenn man an da Wiener Kaffehaus denkt, dann denkt man an das touristische Innenstadtcafé oder das Intellektuellencafé oder vielleicht noch an ein Ringstraßencafe, das sind ja ganz unterschiedliche Typen. Da muss man jetzt aber auch historisch ein wenig ausholen, ich habe mir die Kaffeehäuser dann auch nach Stadträumen angesehen und das hat viel mit der historischen Tatsache der Kaffeesieder zu tun: Früher war es so dass nur Kaffeehäuser innerhalb des Rings Kaffee rösten und ausschenken durften, außerhalb gab es nur Kaffeeschenken. Und das ist ja nach wie vor irgendwie so, außerhalb des Rings findet man dann eher Wettcafés oder Konditoreien. Mich interessiert aber eben was ein Kaffeehaus generell ausmacht, nicht nur optisch sondern auch funktionell.
Denn trotz aller Unterschiede ist all diesen Kaffeehaustypen, den prunkvollen, den schäbigen, den intellektuellen dann doch wieder allen etwas gemein und ja, das sind dann vielleicht wirklich die Wiener die diesen Flair ausmachen. Ich würde sagen ein gutes Kaffeehaus ist eines, in dem sich auch ein Wiener wohlfühlt.

Sb: Denkst du dass sich die Kaffeehäuser in Wien weiterentwickeln müssen/sollten um bestehen zu bleiben? Beziehungsweise, wird es Kaffeehäuser wie wir sie heute kennen in ein paar Jahrzehnten vielleicht gar nicht mehr geben?

J.L: Ich denke schon, dass das Modell wie wir es kennen gut funktioniert, aber dass trotzdem neue Möglichkeiten erfunden werden müssen und da sehe ich recht viel Potential bei der Sparte „To Go“, da hat sich in Wien auch viel getan und das ist eben ein Konzept, das sich weltweit durchgesetzt hat. Mich interessiert, ohne eine Antwort geben zu können, ob man auf elegante Wienerische Weise das Thema „To Go“ aufgreifen kann als eine Wiener Variante des amerikanischen Konzepts.

Sb: Im Gespräch mit Ö1 sagte Gregor Eichinger dass "Kaffeehäuser renoviert werden oder ein früherer Zustand wiederhergestellt wird. Aber es gab keinen Schritt mehr, der sich mit zeitgenössischen Architekturen beschäftigt hat." Das Café Drechsler ist aber zum Beispiel sehr wohl modernisiert worden, aber denkst du, das hat funktioniert? Wie siehst du solche Umbauten und Modernisierungsmaßnahmen?

L.S.: Also die Kernidee per se, also das Kaffeehaus, zu modernisieren stelle ich mir schwierig vor. Aber sobald man etwas Neues, etwas Eigenes entwickelt, wie das die Kaffeeküche zum Beispiel geschafft hat, die sich losgelöst hat von der Wiener Kaffeehausidee, oder man übernimmt Einzelelemente anstatt die ganze Szenerie zu kopieren, dann könnte das funktionieren, ja. Aber das wird man dann auch im praktischen Teil, der Phase II, sehen wenn die Säulenhalle des MAKs tatsächlich in ein Kaffeehaus umfunktioniert wird, das in seiner ästhetischer und formaler Zusammensetzung auf der jetztigen Recherche basiert.

Sb: Hast du bereits eine persönliche Vorstellung, abseits von den laufenden Workshops und Pannels, wie das Kaffeehaus der Zukunft aussehen könnte wenn du freie Hand hättest?

J.L.: Sehr reduziert wahrscheinlich. Reduziert mit ein bisschen was zu bespielen. Ich habe mir zum Beispiel ein Thema rausgepickt, dieses Beobachten und das Sich-Beobachten-Lassen im Kaffeehaus. Und mein Kaffeehaus funktioniert dann wie Bilder, jeder stellt sich selber auch auch, es geht um Rahmen, die gleichzeitig wieder eine Nische sind. Dazu gibt es noch Spiegel mit denen man in die umliegenden Rahmen-Nischen schauen kann aber auch ganz abstruse Blickführungen. Aber eben alles sehr unaufgeregt.

5 Kommentare

  1. Fion

    8. Juni 2011

    Sehr interessant
    Danke für dieses informative. Gespräch!

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  2. Charles

    8. Juni 2011

    reduziertes Kaffeehaus.
    Ist die Zeit reduzierter Kaffeehäuser nicht schon wieder vorbei. Das war doch jahrelang. Der letzte schrei. Mir kommt eher vor, dass mut zur opulenz wieder kommt.

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  3. Mia

    8. Juni 2011

    Gut gemacht
    Echt ein gutes Interview, danke! Macht auch Lust sich die Ausstellung tatsächlich mal anzusehen.

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  4. Anne Panne

    8. Juni 2011

    @Charles
    Ich glaube da gib es eher darum, nur Teile und nicht den ganzen Apparat zu reproduzieren, das meinte Landsiedl mit "reduziert", zumindest habe ich das so verstanden. Nicht im Sinne von ästhetischem Minimalismus, sondern eher funkionellem Design.

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  5. Nino aus Wien

    8. Juni 2011

    Ganz tolle Ausstellung
    hat mir gut gefallen.

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