5. Mai 2013

Der Österreichische Film seit der Jahrtausendwende Teil 2

Atmen

Roman Kogler liegt auf dem Boden des Gefängnis-Schwimmbeckens. Er hält die Luft an, um zu testen, wie lange er es dort unten aushält. Jedes Mal, wenn Karl Markovics Robert in’s Wasser schickt, scheint Robert dem Gefängnisalltag zumindest für einige Minuten zu entkommen. Routine

Wir sehen einen routinierten Alltag in der Sonderstrafanstalt für Jugendliche: Kontrolle nach dem Freigang ("Ausziehn! Bücken! Husten!"), minimaler Austausch mit den Mithäftlingen, Sport. Wenn Roman einen Kaffee machen möchte, dann muss er einen Tauchsieder in einen aufgeschnittenen Tetra Pak hängen.

Roman bewegt sich fast durchweg stoisch-apathisch zwischen Jugendanstalt und der Wiener Bestattung. Er steht nämlich vor einer möglichen Haftentlassung und soll zur Resozialisierung in der Arbeitswelt Fuß fassen.

"Die richtige Leich’ im richtigen Sarg zur richtigen Zeit am richtigen Ort!" Dort werden in einem sehr sachlichen Rahmen Tote gewaschen, gelagert, geliefert und katalogisiert. Robert springt von einer Routine in die nächste und findet paradoxerweise ausgerechnet bei dem Bestattungsunternehmen sozialen Anschluss und einen emotionalen Zugang zu sich selbst. Spannend anzusehen sind dabei die Veränderungen, die das Bestattungswesen in Roman hervorruft. Weniger ist mehr Karl Markovics zieht in seinem Regiedebüt ein graues Setting mit seltenen Farbsprenkeln, wie das blaue Wasser, auf und pendelt immer wieder geschickt zwischen Tragik und lakonischen Wiener Humor. Die wortkarge Inszenierung geht dabei Hand in Hand mit bestechenden Bildern, die für die Situation der gerade im Mittelpunkt stehenden Person sprechen. Eine meisterhafte Charakterstudie!

Workingman’s Death

Michael Glawogger nimmt uns mit auf eine Reise in fünf Länder und portraitiert dabei in fünf Episoden die unsichtbare Schwerstarbeit im 21. Jahrhundert.

Arbeit aus einer anderen Welt

In einer Episode beobachtet seine Kamera Männer in einer Kohlemine in der Ukraine, die in einem gerade einmal 40cm hohen Stollen, auf dem Bauch liegend und mit Hammer und Meißel ausgerüstet, Kohle aus dem Berg schlagen. Dabei blendet er immer wieder Sequenzen aus alten Sowjetfilmen ein, die den wohl berühmtesten Kohlehauer der Welt, Aleksej Stachanow, zeigen.

In einer anderen Episode fängt seine Kamera nicht nur den besonderen Gang der Schwefelarbeiter in Indonesien ein, die vom Kraterland bis in’s Tal, die Schwefelbrocken auf ihren Schultern balancierend, endlose Strecken zurücklegen, sondern verdeutlicht, wie stark die Jetztzeit an so einem Ort einbrechen kann, wenn sich zwei Arbeiter über Bon Jovi unterhalten.

Intensive Bildgewalt

In jeder Episode herrscht ein anderer Rhythmus und eine eigene Bildersprache. Dicht auf den Spuren der Arbeiter klebend, zeigt Glawogger Bilder, die in ihrer Einfachheit ganz arg sind; der Hauptfokus liegt dabei auf der körperlichen Kraft der Arbeiter, ihrer Arbeitsweise und ihren Arbeitsbedingungen. Die intensive Bildgewalt, die nicht zuletzt durch eine grandiose Kameraführung überwältigt, macht Workingman’s Death zu einem Dokumentarfilm, den man nicht so schnell vergisst.

Die Klavierspielerin

Mit seiner Verfilmung von Elfriede Jelineks gleichnamigen Roman inszenierte Michael Haneke ein verstörendes Filmerlebnis, das dermaßen peinlich berührt, dass man am liebsten wegschauen würde, wenn man nicht förmlich gezwungen wäre, seine volle Aufmerksamkeit der beeindruckenden Performance der Hauptdarstellerin zu schenken. Isabelle Hubert spielt eine masochistisch veranlagte Klavierlehrerin, die sich stückweise selbst zerstört und dabei seelisch entblößt.

Tiefe Einblicke

Mit einer schlichten und stringenten Inszenierung, dokumentiert Haneke die subtilen Mechanismen von Gewalt im Konstrukt der menschlichen Beziehung, ohne sie wirklich sichtbar zu machen. Trotz der Distanz zu den Personen – oft hat man den Eindruck, als ob er die Darsteller und ihre Geschichten aus weiter Ferne zeigen würde -, die nicht zuletzt durch lange, ruhige Kameraeinstellungen entsteht, gelingt es Haneke tiefe Einblicke in die verstörte Psyche Erikas zu gewähren. Schonungslos, intensiv und bis in’s kleinste Detail sachlich erzählt, entrollt Haneke eine Spirale aus Unterwerfung, Demütigung, Kontrolle, Obsession und Abhängigkeit und schickt den Zuschauer dabei auf eine quälerische, aber faszinierende Reise. Ein echter Haneke-Streifen eben.

Hundstage

"Die sogenannten Hundstage halten weiter an, denn weiterhin strömt subtropische Warmluft nach Österreich", ertönt es aus dem Radio eines durch’s vorstädtische Ödland fahrenden Autos. Brütende Hitze liegt über der Wiener Peripherie; die einen braten in der Sonne wie Fleisch auf dem Grill, die anderen leben schwitzend in ausgestorbenen Einfamilienhaussiedlungen, Einkaufsmärkten, Tankstellen oder im Auto auf Autobahnzubringern in den Tag hinein. Das sind die Schauplätze von Ulrich Seidl’s erstem Spielfilm, auf denen er eine Handvoll Kleinbürger bei gewalttätigen Konfrontationen, erniedrigenden und sehnsuchtsvollen Momenten beobachtet.

Ein raues Portrait

Der dokumentarische Blick Seidl’s zeigt den trostlosen Alltag aus der Perspektive der Charaktere und fängt dabei, mit einer ungemeinen Intensität – und wenigen Ausnahmen – ausschließlich Hässliches und Perverses ein. Ähnlich wie schon Haneke in "Die Klavierspielerin", aber mit einer gewissen Distanz zum Geschehen und zu den Charakteren, konfrontiert er die Zuschauer mit einer Intimität, die so bizarr und abgründig ist, dass das dabei entstehende unangenehme Filmerlebnis, das diesen Film prägt, auf die Spitze getrieben wird. Die einzigen Momente, in denen Nacktheit und Entblößung nicht im Zentrum stehen, sind jene, in denen die Anhalterin Anna ihre Fahrer mit intimen Fragen traktiert oder Werbelieder trällert. "Hundstage" blickt tief hinter die Fassaden kleinbürgerlicher Seelen und besticht mit einer unglaublichen Authentizität, die den Film nicht unbedingt schön, aber dafür einzigartig macht.

Der Räuber

"Der Räuber" von Benjamin Heisenberg orientiert sich an der wahren Geschichte des österreichischen Marathonläufers und Bankräubers Johann Kastenberger, der als "Pumpgun-Ronnie" in den 1980er-Jahren in Österreich Schlagzeilen machte.

Johann Kastenberger läuft im Gefängnishof im Kreis und in der Zelle am Laufband. Als er auf Bewährung frei kommt läuft er mehrere Marathons. Doch der Marathonläufer und Hobby-Bankräuber entfaltet erneut seine kriminellen Energien: Er fährt wieder zur Bank, überfällt, fährt weg, und läuft und läuft und läuft… Nachhause, wo er seine Beute in einem Müllsack gewickelt unter seinem Bett versteckt und nicht mehr anrührt.

Dynamik des Laufens

Andreas Lust spielt den unnahbaren Johann Rettenberger, mit dem man sich trotz subjektiver Erzählhaltung nicht identifizieren kann. Man erfasst lediglich seine Unermüdlichkeit: immer wieder kommt er davon, auch wenn gar kein Davonkommen mehr denkbar ist. "Der Räuber" ist kein Mitfühl-Film. Es wird nichts erklärt, die Dialoge sind karg, doch der Film lebt von Bewegung; denn Benjamin Heisenberg hat die Dynamik des Laufens inszeniert. De Kamera klebt an dem Läufer wie ein Kaugummi am Schuh; der Zuschauer beobachtet einen laufenden, hechelnden und um Atem ringenden Rettenberger, dessen Bewegungen bis in’s kleinste Detail bemerkenswert auf die Leinwand transportiert werden.

Unser täglich Brot

Die Maschine surrt. Langsam zieht sie durch ein gelbes Meer von zusammengepferchten Hühnern und sammelt die Tiere ein. Die nächste Kameraeinstellung zeigt Rinder, die betäubt, getötet und dann industriell verarbeitet werden. Irgendwo dazwischen schreiten Menschen in weißen Schutzanzügen die aufgereihten Tomatenstauden in riesigen Gewächshäusern ab. Hin und wieder kann man den Arbeitern in ihrer Pause zuhören, der Rest des Films dokumentiert mit streng komponierten Bildeinstellungen das System industrieller Nahrungsmittelproduktion.

Asketische Reduktion

Der vielfach ausgezeichnete Dokumentarfilm Nikolaus Geyrhalters wird durch kein Off-Kommentar oder musikalischer Untermalung begleitet. Es gibt keine Zahlen, keine Statistiken, keine Zeit-oder Ortsangaben, keine billige Moral. Der Zuschauer kann sich lediglich an den Hinweis festhalten, dass "Unser täglich Brot" in Europa zwischen 2003 und 2005 entstand.

Die Besonderheit dieses Dokumentarfilms liegt neben der in Form und Stil reduzierte Machart, welche die kalte Rationalität der gezeigten Vorgänge verstärkt, auch in der präzisen Bildersprache, die trotz ihrer Intensität, Raum für eigene Assoziationen und Schlüsse erlaubt.

Der Österreichische Film seit der Jahrtausendwende Teil 1

Jelena Drenjakovic

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