7. April 2013

Der letzte Sommer auf Long Island

1985 war der letzte Sommer auf Long Island für den New Yorker Benji, der nun eigentlich nicht mehr Benji sondern Ben genannt werden wollte. Er war nun 15 Jahre alt und auf der High School und da konnte man das nun schließlich und endlich verlangen. Nach diesem Sommer 1985 im Urlaubsparadies der Kindheit sollte eine neue Zeit beginnen. Doch dazwischen lagen drei lange Monate der vormittäglich Badeausflüge, des nachmittäglichen Herumlungerns, des abendlichen Die-Gegend-unsicher-Machens mit dem ersten Auto und des nächtlichen Schabernack treibens.

Immer dabei Bruder Reggie sowie die Freunde NB, Randy, Clive, Nick, Bobby und Marcus. Geld für die kleinen Ausschweifungen schaffte man mit Sommerjobs heran. Lange Stunden galt es in der Eisdiele zu schwitzen, während sich dort andere Menschen Abkühlung verschafften. Und dann waren da natürlich auch noch die Sache mit den Mädchen. Es sollte der Sommer werden in dem das andere Geschlecht so plötzlich erschien wie die Spiele der Kindheit verschwanden.
Einfach so.

Whatever happened to the 80s

Die 1980er sind zurück. Während der Glanz der 1960er bereits längst verblichen ist, die 1970er ausgelutscht und als leere Hülle ausgespuckt wurden und die 1990er, ja die 1990er… – war da eigentlich überhaupt etwas? weiß da wer was – sind es nur mehr die 1980er in die man sich zurückziehen kann, um den Traum von der besseren, der nicht so schnelllebigen und vor allem nicht so verdammt postmodernen Vergangenheit zu Träumen. Da trugen Frauen noch Schulterpolster, Männer krempelten die Ärmel ihrer pastellfarbenen Sakkos hoch und Kinder sahen sich Bill Cosby an. Aber jeder stand zu seinem Scheiß.

Bill Cosby sieht sich auch Benji an, der Ich-Erzähler in Colson Whiteheads Kindheitsabgesang "Der letzte Sommer auf Long Island". Und aus dieser Serie scheint auch einiges in seinem Leben entlehnt zu sein. Die afro-amerikanische Mittelstandsfamilie, die Akademiker-Eltern einer der ersten Generationen und ihre politische Vergangenheit.

Es ist ein nostalgischer Blick den Colson Whitehead auf die Zeit auf Long Island zurückwirft – als die Raps noch politisch waren und die Kanonen der Jungs aus Plastik. Er gibt einen recht nonchalanten Einblick in das Leben der afro-amerikanischen Mittelschicht, das den Klischees aus den Fernsehserien (Anklänge an "Everybody hates Chris" sind unübersehbar) doch recht nahe kommt. Man grenzt sich gerne ab. Man grenzt sich ab sowohl gegen die teils, ob versteckt oder offen zur Schau gestellt, rassistischen Weißen, aber auch gegen die schwarze Unterschicht, die mit ihrem Verhalten den Vorurteilen der Weißen in ihren Augen nur noch weitere Munition liefern.

Doch trotz seines etwas sehnsuchtsgeschwängerten Rückblickes schafft es Whitehead auch kritische Untertöne nicht auszusparen. Die Familienkonflikte, der Alkoholkonsum des Vaters – es ist eine heile Welt mit dunklen Löchern.
Es ist ein Porträt einer jugendlichen Generation die sich ihrer eigenen Identität als Afro-Amerikaner schon sicherer ist und selbstverständlicher damit umgeht, vor dem Passepartout ihrer Eltern, die um ihren Platz und ihre Rechte noch einen politischen Kampf ausfechten mussten und das auch nicht vergessen haben.

Akribie statt Stimmung

Es finden sich viele spannende Motive in Whiteheads Roman, die einer hitzigen, ungestümen Story das Fundament legen könnten. Trotzdem kommt diese nie so richtig in Fahrt. Die Hitzigkeit scheint schon vorbei zu sein und eine sommerliche Mattheit legt sich über den Erzählbogen und drückt ihn in die Horizontale. Es will sich so recht kein Schwung aufkommen in der Aneinanderreihung von zwar sehr detailgetreuen aber zumeist wenig lebendigen Szenen. Hier mag man durchaus ein Buch der leisen Töne vermuten, doch trägt es dafür zu viel Beschreibungsbombast zwischen den Deckeln. Was wohl dichte Atmosphäre und stimmungsvolle Bilder schaffen sollte erschöpft sich oft in Erläuterungselegien und seitenlangen Exkursen, die die letzte Dynamik aus der Geschichte heraussaugen.

Whitehead verwechselte hier wohl unbedingte Exaktheit und Akribie mit dem Erschaffen von Stimmung. Diese fehlt eben leider oft. Doch genau diese Stimmung ist es, die Kindheitserinnerungen ausmacht, ihnen Farbe und Form gibt, wo sie, nur noch schemenhaft und halbverschüttet vorhanden, schon zu entschwinden versuchen. Wo andere mit Atmosphäre punkten wollen kontert der New Yorker mit Ausführlichkeit.

"Der letzte Sommer auf Long Island" ist mit Sicherheit in vielen Bereichen ein eingängliches Zeitdokument und eine geistreiche Sozialstudie, in die Badetasche sollte es aber lieber nicht reinhüpfen. Sommerlicher Lesespaß mag sich hier nicht so wirklich einstellen.

Colson Whitehead
Der letzte Sommer auf Long Island

Hanser Verlag
München 2011
336 Seiten, gebunden
21,90 

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