8. Mai 2013

Der Gemeindebau

Welcher war Wiens erster und letzter Gemeindebau? 

Die Wohnsituation in Wien ist weltweit einzigartig: Die Stadt selbst verwaltet rund 220.000 Gemeindewohnungen (Gesamtfläche etwa 13,5 Millionen Quadratmeter) für eine halbe Million Mieter – etwa ein Viertel aller Einwohner Wiens. Mit zusätzlich 6000 Lokalen und 47.000 Garagen- und Abstellplätzen ist die Stadt Wien somit die größte Hausverwaltung Europas.

Dieses weltweite Unikum hat seinen Ursprung im Wahlsieg der Sozialdemokraten bei den ersten demokratischen Gemeinderatswahlen 1919. Wien wurde die erste sozialdemokratisch verwaltete Millionenstadt der Welt und errichtete sofort die ersten Gemeindebauten. Zwar wurde die Mareschsiedlung (Teil der Siedlung Schmelz) gegen Ende 1920 um einige Wochen früher eröffnet, dennoch gilt der Metzleinstaler-Hof (Margaretengürtel 90–98) als erster echter Wiener Gemeindebau, weil er in Struktur und Aussehen dem typischen Gemeindebau entspricht – geringe Bebauungsdichte mit Grünflächen, Gemeinschaftseinrichtungen und teilweise eigens geschaffene Infrastruktur.

Nur drei Jahre später beschloss der Wiener Gemeinderat den Bau weiterer 25.000 Gemeindewohnungen, bis 1934 waren es schlussendlich 61.175 Wohnungen in 348 Wohnhausanlagen. Zehn Prozent aller Wiener wohnten damals im Gemeindebau, der längst zu einer identitätsstiftenden Einrichtung geworden war und es bis heute ist: Wolfgang Ambros besang die „Blume aus dem Gemeindebau“, Fernsehserien und Dokusoaps spiegeln das Dasein im Gemeindebau wieder. Berühmtestes Beispiel ist der „Kaisermühlen-Blues“, abgründigstes Beispiel ist „Wir leben im Gemeindebau“.

Das Stadtbild ist besonders durch die großen Gemeindebauten, wie zum Beispiel den Rabenhof, den Reumannhof, die Wohnhausanlage Sandleiten (mit 1587 Wohnungen der größte Gemeindebau), den Karl-Seitz-Hof und natürlich durch den Inbegriff des Gemeindebaus, den Karl-Marx-Hof, geprägt: Die „eigene Kleinstadt“ auf der Heiligenstädter Straße (gebaut von 1926 bis 1930) mit 1382 Wohnungen (für etwa 5000 Bewohner) ist eng mit der Geschichte Wiens verbunden: Bei der Eröffnung sagte Bürgermeister Karl Seitz die berühmten Worte „Wenn wir einst nicht mehr sind, werden diese Steine für uns sprechen.“

Nur vier Jahre später wurde der Karl-Marx-Hof zum Zentrum des Widerstandes gegen den Faschismus und mit Artilleriegeschossen eingenommen. Die Austrofaschisten benannten ihn in „Heiligenstädterhof“ um, nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er wieder seinen ursprünglichen Namen.

Der letzte Gemeindebau wurde 2004 in der Rößlergasse im 23. Bezirk errichtet. Seither fördert die Stadt sozialen Wohnbau, anstatt selber zu bauen.


„Darf’s a bisserl mehr sein?“

Weitere Fragen zu Wien und deren interessante Antworten findest du in Wann verlor das Riesenrad seine Waggons? von Axel N. Halbhuber erschienen im Metroverlag.

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