20. Januar 2012

Chantalismus: Lachen über die Unterschicht

Erst wenige Wochen alt und schon berühmt. Wie die Säuglinge, die darin der Lächerlichkeit preisgegeben werden, hat der Chantalismus-Blog innerhalb sehr kurzer Zeit eine hohe Sichtbarkeit erreicht. 500 Follower nach nur vier Tagen hatte die Seite, die vorwarnt: Achtung – Kinder mit schlimmen Namen an Bord.

Chayenne, Leeroy und Chesney heisst die fragile Fracht etwa, oder Linus, oder schlichtweg und unspektakulär Gian-Luca. Leitend ist die Frage, ob die Kinder ihre Eltern für die Namensgebung verklagen würden, wenn sie könnten. Man sorgt sich also um die armen Kinder, ist gegen die gemeinen Eltern? Oder will man einfach nur irgendjemanden auslachen? An Informationen wird gespart, hier sprechen nur die Bilder. Eine Besucherin will der Seite trotzdem gar den Bambi in der Kategorie ‚Pädagogisch wertvoll‘ verleihen. Bloß wofür? Wohl nicht mal Sido würde Babys dissen.

Namen machen Leute

Der Name ist Programm. Mit dieser Annahme lässt sich vielleicht auch der Erfolg jener Studie erklären, die der Aufmerksamkeit auf die anglophilen Tendenzen in der Namensgebung den meisten Auftrieb gab. Deren Resultate legten nahe, dass Kevin kein Name, sondern eine Diagnose sei. Erforscht wurde, dass bei gewissen Namen Verhaltensauffälligkeit häufig angenommen wird, dementsprechend würde die Erwartungshaltung gegenüber dem Träger des Namens daran angepasst sein. Kevin ist öfter dumm als Alexander, soll das heissen, deswegen kriegt er von einer statistisch signifikanten Zahl der LehrerInnen (so die Annahme) vorweg eine schlechtere Note. Die Studie ist medial explodiert, wird darin doch ausgesagt, dass LehrerInnen bei der Benotung ihrer SchülerInnen von deren Vornamen und deren Konnotationen beeinflusst werden und Chantal und Co. dadurch weniger Chancen entstehen. Die Verfasserin heisst Julia, erwartungsgemäss hat sie studiert. Die Studie war der Inhalt einer wissenschaftlichen Masterarbeit, deswegen haben ihrem Inhalt wohl alle geglaubt.

Aber auch Julia kocht nur mit Wasser. Die Ergebnisse ihrer Studie konnten bislang nicht reproduziert werden. Überhaupt lieferten sie nur eine Verbindung von Namen und deren Konnotationen bei 500 GrundschullehrerInnen. Signifikante Grundlage für eine Ausbreitung dieser Annahme auf den gesamtdeutschen Sprachraum? Wohl kaum. Die Aussage, dass sich diese konnotative Verbindung dann auch in der tatsächlichen Benotung niederschlägt, stammt sogar nur von der Betreuerin der Arbeit, eine rein subjektive Einschätzung einer ehemaligen Lehrerin. Die Überprüfungen von Studien brennen sich aber nun mal nur selten ins kollektive Gedächtnis, hingegen, dass das Phänomen Kevinismus tatsächlich Benachteiligung in der Schule mit sich bringt, glaubt schnell mal jeder Hans Wurst. Angeblich gibts ihn sogar gar nicht, den Kevinismus. Ganze 118 Bubennamen waren 2011 in Deutschland beliebter als Kevin.

Name, Erwartungshaltung, Schublade

Der Name ist Programm, die Annahme bleibt nun mal bestehen. Deswegen würde niemand ungeschaut Eiterbrillen – ja, das ist was zum Essen – bestellen. Und wohl nur wenige das eigene Kind Schantalle-Schakira nennen, denn Extravaganz bietet Angriffsfläche. Maximale Mittelmässigkeit ist der beste Weg zum Erfolg – diese Weisheit hat sogar Eingang in den Vorlesungsstoff an der WU gefunden. Ich würde das gerne genauer belegen, aber es war so mittelmässig spannend, dass ich mich nicht mehr erinnern kann.

Maxi Lengger

Kommentieren

Die Emailadresse wird nicht angezeigt