16. Mai 2011

Berlin – Überforderung: Klappe, die zweite

Jene Überforderung, die mich innerhalb der ersten ein, zwei Wochen nach meiner Ankunft in beachtlichem und böswilligem Ausmaß heimgesucht hat, hat sich gelegt. Mittlerweile weiß ich Bezirk von Ortsteil und Kiez zu unterscheiden, die Sache mit der Coolness habe auch ich durchaus schon begriffen, und um von Punkt A nach Punkt B zu gelangen, plane ich seit einiger Zeit auch wieder lediglich die gewohnte halbe Stunde statt der dreifachen Dauer ein – und komme sogar dort an, wo ich hin möchte. Bei dieser Gelegenheit soll übrigens der Schleier um ein mir sehr am Herzen gelegenes Mysterium gelüftet werden: Bei der Station „Onkel Toms Hütte“ passiert nichts, aber auch rein gar nichts Spannendes.

So weit, so gut.

Seit meiner Ankunft habe ich mir jedoch auch immer wieder die Frage gestellt, welche skurrilen Umstände dazu führen, dass die Bewohner dieser Stadt die Energiereserven einer Woche bereits Montag früh verbraucht zu haben scheinen und mit einem Gesichtsaudruck durch die Straßen, Gassen und Plätze hetzen, als gäbe es kein Morgen. Lange habe ich darüber nachgedacht und bin zu einer Erkenntnis gekommen, die mich zufrieden stellt:

Es ist zu viel, alles.

Es ist so viel von allem da, dass man den Großteil der Zeit, die man abgesehen von Schlaf oder Arbeit zur Verfügung hat, überwiegend damit verbringt, Entscheidungen zu treffen, die kaum getroffen werden können, weil immer noch etwas da ist, das vielleicht besser, größer, billiger, spannender oder aber auch perfekt sein könnte. Hat man sich doch einmal eine Entscheidung abgerungen, bleibt als bitterer Nachgeschmack noch immer ein quälender Zweifel. Ein kleines Exempel anhand eines mehr oder weniger durchschnittlichen Tages:

Nachdem ich noch schlaftrunken, jedoch mit einem bereits deutlich spür- und hörbaren Knurren im Magen meine Schlafstätte verlassen habe, eröffnet sich mir als logische Konsequenz des Hungergefühls folgender Plan: Ich gehe Frühstück holen. Gehe ich dafür nun aber zu einem der drei Supermärkte um die Ecke, suche einen der zehn Spätis auf, die natürlich auch schon morgens geöffnet haben oder zu einer der hundert Bäckereien? Ich kapituliere an diesem Tag zum ersten Mal, vergrabe mich doch noch für ein Weilchen und versuche dann, den freien Tag anders zu beginnen: Ein Frisörbesuch wäre seit Längerem wieder mal fällig. Bereits nach wenigen Metern wird mir jedoch klar, dass wahrscheinlich auch daraus nichts wird, die Schaufenster von Vokuhila, Headshop, Schnittstelle, Schlumilu und Die Schererei feuern mich mit immer billigeren Angeboten und wieder billigeren Sonderangeboten förmlich zur Flucht an. Lange Haare sind auch ganz hübsch und die Frisur doch noch nicht so katastrophal, beschließe ich, und bemerke, dass ich durch die Anstrengung des Rückzugsmanövers Durst bekommen habe.

Kurze Pause…

Diesmal einfach hinein in den Supermarkt, ich stehe ja gleich daneben, und zielstrebig auf zu jenem Regal, welches vermeintlich meinen Durstlöscher und Retter in der Not beherbergt – eine Limo soll es werden, so viel ist sicher. Fünf Minuten breche ich unter der Last meiner Tasche fast zusammen, die Entscheidung zwischen Bionade Holunder, Litschi, Kräuter, Ingwer-Orange, Quitte und Aktiv war dann doch zu viel, nachdem ich die Alternativen Fritz Limo Apfelschorle, Apfel-Kirsch-Holunder, Melonenbrause, Orangenlimonade und Zitronenlimonade durch Abdecken eines Auges bereits aus meiner Realität verbannt habe. So, aber jetzt ab in den Park und die geschätzten sechs Liter Errungenschaft in Ruhe und im strahlenden Sonnenschein genießen. Der Mauerpark soll sehr hübsch sein, auch der Viktoriapark, die Gärten der Welt in Marzahn und erst der Görlitzer Park, die Hasenheide, der Treptower Park und der Volkspark Friedrichshain! Eigentlich, denke ich, könnte ich, allen gut gemeinten Empfehlungen zum Trotz, den Ausflug in die Sonne auch ein wenig ausgefallener gestalten und zur Radaranlage auf den Teufelsberg fahren, oder ich besichtige den bereits seit vielen Jahren aufgelassenen Vergnügungspark im Plänterwald (muss man beides gesehen haben, so der geläufige Konsens)? Hinkommen würde ich mit ungefähr vier verschiedenen Straßenbahnlinien, drei S-Bahn-Linien oder auch der U-Bahn. Ich glaube mich sogar daran zu erinnern, dass auch einige Buslinien die Strecke abfahren. Wie praktisch das hier nicht alles angelegt ist, denke ich, und gehe mit den sechs Litern nachhause, um ein Nickerchen zu machen.

Noch eine Verschnaufpause…

Wieder munter, meldet sich abermals mein knurrender Magen zurück und ich verspüre die unüberwindbare Lust auf einen saftigen Burger. Namen wie Kreuzburger, Ketchup und Mayo, Burgermeister, Berlin Burger International, Burger Dream sowie White Trash Fast Food, die mir schon vermehrt und mit fast wahnhafter Verzückung in den Augen empfohlen worden sind, schwirren in meinem Kopf und fast schon im bereits wässrigen Mund herum, als ich beschließe, dass es Zeit für mein erstes Bier des Tages (soll auch sättigend sein, habe ich gehört) und den Startschuss für die Planung der abendlichen und nächtlichen Sause wird. Gemütlich etwas trinken könnten wir in Friedrichshain im Süß war gestern, im Stereo 33, im Astro oder in der Dachkammer, wir könnten auch nach Kreuzberg in die Luzia, in den Trinkteufel, ins Max und Moritz, ins Clash oder zu Schmitz Katze. Wenn du möchtest, bleiben wir aber auch für den Anfang bei dir in der Nähe am Prenzlauer Berg und gehen ins Zu mir oder zu dir, ins Soupculture, ins Wohnzimmer oder ins Intersoup, schlägt mir eine Freundin vor. Danach gäbe es drei WG-Partys oder wahlweise einige gute DJs in der Wilden Renate, im Golden Gate, im Watergate, im Berghain und in der Panorama Bar, in der Kleinen Reise und, ach, im Ritter Butzke ist auch viel los. Was meinst du?

Ich bin müde,

meine ich, und lege mich wieder ins Bett.

Wienerin in Berlin (IV): Eine Hommage an den Club

Wienerin in Berlin (V): Weihnachtsmärkte des Grauens.

Wienerin in Berlin (VI): Die sexy Berliner Mauer.

Wienerin in Berlin (VII): Wien, schnoddrige Hauptstadt des Zwergenstaates Österreich.

Wienerin in Berlin (VIII): Berlin, wo sind deine Alten hin?

Wienerin in Berlin (IX): Berlin – Was es braucht, um so richtig cool zu sein.

Wienerin in Berlin (X): Berlin – Abenteuer Tram.

Wienerin in Berlin (XI): Es geht in die Verlängerung.

Wienerin in Berlin (XII): Berlin – Adieu traditionelle Esskultur

Wienerin in Berlin (XIII): Wo die Retro-Armee marschiert

Eva Felnhofer

ist noch länger in Berlin.

6 Kommentare

  1. terror

    3. März 2011

    der donnerstag beginnt gut
    mit einem frühstück und der wienerin in berlin!

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  2. Marie Nkäfer

    3. März 2011

    Großstadtphänomen?
    Aber ist diese Überforderung durch Überangebot nicht normal wenn man neu in einer Stadt ist? Gerade dann kommt einem alles verdoppelt und verdreifacht vor wenn man es noch nicht kennt.
    Bzw. ist es nicht auch sogar in Wien manchmal so, dass man einfach nicht weiß was tun weil (ab und dann kommt das sogar hierzulande vor) einfach zu viel Angebot herrscht? Also für mich ist das nicht zwingend ein Berlin-Phänomen.

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  3. Natalie

    3. März 2011

    Berlin ist echt zu viel
    Man kann dort prima feiern, weggehen, sich amüsieren. Aber auf Dauer leben kann man dort nicht.

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  4. eva

    3. März 2011


    @Marie Nkäfer: Ja klar, das kann sein – da ich aber noch nicht auf die Art und Weise wie jetzt neu in einer Stadt war, kenn ich es eben noch nicht 🙂 Und in Wien hatte ich diese Überforderung nie. Ob es allgemein gesehen Berlin-spezifisch ist oder nicht, sei also mal so dahin gestellt, für mich ist es das auf jeden Fall 🙂

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  5. Wienerliner

    3. März 2011

    Jetzt kannst du nachvollziehen
    ….wie es ist für mich aus Berlin zu kommen und dann in Wien an die Grenzen des Möglichen zu stoßen. Leider ist dennoch in Berlin oft soviel los das man am Ende garnichts macht oder immer das "alt" Bewährte. Viele Leugnen das doch es ist so. Sonst wäre nich Tag ein Tag aus die Klubs der üblichen Verdächtigen voll wie eine Armenspeisung…

    Aber im Sommer wirst du das auskosten, denn dann ist man mobil mit nem Fahrrad, kreuzt durch den Kiez und erlebt IMMER die tollsten spontansten events. Sei es ein toller Markt, nen cooler Party Event oder einfach nur nen toller Fleck der darauf wartet endtdeckt zu werden….

    Freu dich drauf und lass dich nicht von der Großstadt erdrücken….

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  6. Clara

    3. März 2011

    Dei Überforderung macht man sich slebst
    Ich bin ja auch im Internet nicht überfordert obwohl es unzählbar viele seiten gibt. Einfach vorauswaählen und ignorieren was noch so passiert. Weil alels wird man ohnehin nie sehen.

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