3. Juli 2011

Berlin – Adieu, traditionelle Esskultur.

Klassische Restaurantbesuche kennt wahrscheinlich jeder von uns: Egal, ob man es empfohlen bekommen oder durch Zufall entdeckt hat, in jedem Fall betritt man es, nimmt an einem Tisch Platz, bekommt eine Karte ausgehändigt, sucht sich die Speisen und Getränke seiner Begierde aus, welche anschließend auch serviert und mal mehr, mal weniger begeistert verspeist werden und später den auf der Karte gelisteten Preisen entsprechend bezahlt werden. Dann verlässt man das Restaurant und ist im Idealfall um eine kulinarische Erfahrung reicher.

Abendessen mal anders.

Dem Berliner von Welt ist dies naturgemäß eine Spur zu gediegen und langweilig. Wäre hier alles normal und klassisch, wäre es wahrscheinlich nicht Berlin. Nein, hier muss es schon eine Spur ausgefallener zugehen, um die durch Kreativität und Extravaganz verwöhnten Gemüter noch überraschen beziehungsweise reizen zu können. Abseits von den klassisch existierenden Restaurant-Betrieben bevorzugt man beispielsweise folgende zwei Varianten:

Das Guerilla-Cooking.

Das Grundprinzip des Guerilla-Cookings beziehungsweise der Supper Clubs, wie die nicht unbedingt legalen Zusammenkünfte auch genannt werden, besteht aus Verschwiegenheit, Mundpropaganda, Freude am Kochen oder zumindest einem schmalen, aufzubessernden Geldbörsel und im Idealfall einem großen Ess- oder Wohnzimmer: Über Freunde und Bekannte und somit über das Zufallsprinzip, da sie nirgendwo offiziell beworben werden, erfährt man, wo und wann die Supper Clubs stattfinden, die Anmeldung dazu erfolgt über E-Mail oder aber auch über meist geschlossene Facebook-Gruppen, zu denen man über bereits Eingeweihte und mit der Materie Vertraute Zutritt erlangt. Dort wird dann das geplante Menü feilgeboten, zu dessen Verzehr man sich bei Interesse anmelden kann. Ist diese – aufgrund meist sehr beschränkter Teilnehmerzahl nicht garantierte – Anmeldung erfolgreich vonstatten gegangen, dann steht den erlebnisorientierten kulinarischen Gaumenfreuden nichts mehr im Wege. Man bekommt eine Adresse und eine Uhrzeit übermittelt und findet sich anschließend in einer Privatwohnung wieder, in der eine oder mehrere Personen für ca. 20,- Euro bis 25,- Euro oder, je nach Veranstalter des Supper Clubs, auch bis zu 50,- Euro ein mehrgängiges Menü aufbereiten. Insider-Berichten zufolge eine durchaus empfehlenswerte Angelegenheit, die nach dem Mahl oftmals in eine wilde Partynacht mit bis dato zumeist fremden Personen übergeht.

Esstour quer durch die Stadt.

Auf Haxe“ lautet der Name dieses Konzepts und stellt eigentlich mehr ein gut durchorganisiertes Event als reine Nahrungszufuhr dar: Teams von jeweils zwei Leuten melden sich für einen bestimmten Tag an, an welchem sie dann für andere Leute in ihrer eigenen Küche entweder eine Vorspeise, eine Hauptspeise oder eine Nachspeise zaubern müssen – Grundvoraussetzung für die Teilnahme ist lediglich eine Küche in Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain, Prenzlauer Berg oder Mitte. Der Ablauf des Ganzen sieht so aus, dass man sich als Team anmeldet und anschließend unter den Teams verlost wird, wer welchen Gang vorzubereiten hat. Einmal wird gekocht und bewirtet, für die anderen beiden Gänge fährt man dann jeweils zu einem, wiederum durch Zufallsprinzip bestimmten, anderen Ort, wo man von einem weiteren Team bekocht und bewirtet wird. Geht der Plan auf – Berichten zufolge tut er das – hat man sich am Ende des Abends mit, bis auf die Kosten für die selbst zubereitete Speise, kostenlosen Überraschungsgerichten den Bauch voll geschlagen, konnte seinen Voyeurismus und seine grenzenlose Neugier für fremde Wohnungen ausreichend befriedigen, hat zudem im Idealfall nette neue Leute kennen gelernt und trifft sich zu guter Letzt auch mit jenen, mit und bei denen man nicht gespeist hat, zu einer großen Abschlussparty.

Na dann, guten Appetit!

Vielleicht sind dies, abseits des finanziellen Aspekts der Supper Clubs, Versuche, der Anonymität der Großstadt ein Schnippchen zu schlagen, indem man einander fremde Menschen in intimstem Rahmen zueinander führt, vielleicht geht es auch einfach nur darum, besonders anders und besonders ausgefallen sein zu wollen, vielleicht geht es auch nur um kulinarische Erfahrungen abseits der vorhersehbaren Inhalte der Karten, die Restaurants einem bieten. In jedem Fall aber sind es zwei in meinen Augen zumindest spannende Konzepte, die „Ausprobieren!“ schreien.

Wienerin in Berlin (I): Die Sache mit dem Kiez.

Wienerin in Berlin (II): Warum Berlin von der Wurst regiert wird

Wienerin in Berlin (III): Sprachbarrieren oder was ist ein Zuckerl?

Wienerin in Berlin (IV): Eine Hommage an den Club

Wienerin in Berlin (V): Weihnachtsmärkte des Grauens.

Wienerin in Berlin (VI): Die sexy Berliner Mauer.

Wienerin in Berlin (VII): Wien, schnoddrige Hauptstadt des Zwergenstaates Österreich.

Wienerin in Berlin (VIII): Berlin, wo sind deine Alten hin?

Wienerin in Berlin (IX): Berlin – Was es braucht, um so richtig cool zu sein.

Wienerin in Berlin (X): Berlin – Abenteuer Tram.

Wienerin in Berlin (XI): Es geht in die Verlängerung.

Wienerin in Berlin (XIV): Berlin – Überforderung: Klappe, die zweite.

Eva Felnhofer

ist noch länger in Berlin.

7 Kommentare

  1. Charles

    17. Februar 2011

    Klingt lecker
    Für wie viele Personen muss man denn bei diesen Esstouren essen bereit halten?

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  2. Patrick

    17. Februar 2011

    gibt es dieses Guerilla Cooking
    eigentlich auch in Wien?

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  3. eva

    17. Februar 2011


    @Charles: Für vier Leute, du und dein Teampartner essen gemeinsam mit einem anderen Zweier-Team. Dann zieht man weiter und wird wiederum von zwei Leuten bekocht.

    @Patrick: Gute Frage, gehört hätte ich noch nie davon.. Aber wie gesagt, die Veranstaltungen werden auch nicht wirklich öffentlich gemacht, also vielleicht ist mir da einfach noch nichts zu Ohren gekommen 🙂 Vielleicht weiß ja irgendwer mehr?

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  4. stadtbekannt

    17. Februar 2011

    @Patrick
    Wir sind am Recherchieren. Ist aber naturgemäß schwierig rauszufinden… Wir bleiben dran! Bzw. wer was weiß, bitte bei uns melden.

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  5. Patrick

    17. Februar 2011

    @Eva
    Danke für die Infos. Würde gerne einmal auf so ein Guerilla Cooking gehen.

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  6. Philipp

    17. Februar 2011

    Wien auf Haxe
    Hi Patrick und liebes Team von stadtbekannt. Auf Haxe ist ein Projekt das wir seit einigen Monaten in Berlin machen. Allerdings haben sich bereits zwei Haxenmeister gefunden, die jetzt regelmäßig in Potsdam ihre eigene Haxe über unsere Seite veranstalten. Bei Interesse freuen wir uns über Post an sauerkraut@aufhaxe.de
    Beste Grüße,
    Philipp
    Auf Haxe

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  7. terror

    17. Februar 2011

    wow
    das klingt ziemlich spannend, wäre super wenn es sowas mal in wien geben würde!

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